Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Ruhmredigkeit.«
Er war errötet, und Sepp hatte wohl gemerkt, daß er diese Sätze nur schwer über die Lippen gebracht hatte. Trotzdem konnte sich Sepp eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Es hatte ihm immer Eindruck gemacht, daß dieser Benjamin seine Lebensaufgabe darin sah, den Haß und den Ekel, den er aus dem Krieg mit nach Hause gebracht, weiter zu nähren und auf andere zu übertragen: er selber aber, Sepp, hatte die unmenschlichen Erlebnisse seiner Frontzeit ein für allemal mit Energie von sich abgetan, er hatte sie in seine tiefsten Tiefen hinuntergedrückt, dort sollten sie bleiben, er wollte nicht daran erinnert werden.
Doch Friedrich Benjamin ließ nicht ab. »Ich weiß natürlich«, sagte er, »daß man für einen Narren angesehen wird, wenn man im kriegerischen, zerstörerischen Trieb des Menschen den Urquell alles Bösen sieht und glaubt, man müsse zunächst einmal das Wesen des Menschen ändern. Ich kenne von Grund auf jene Theorie, die beweist, daß das wirtschaftliche und gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt. Ich für mein Teil aber bleibe bei der Überzeugung: es ist richtiger, die Inwohner zu ändern, uns selber, als das Haus. Da reden sie immer auf mich ein, wenn man von dem Endziel spreche, dem absoluten Frieden, der doch vorläufig eine Utopie bleiben müsse, dann beeinträchtige man nur den Kampf um das nächste Ziel, den Kampf nämlich um die Änderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Aber ich höre nicht auf diesem Ohr. Es ist mein Herz, das gegen diese Argumente taub bleibt. Niemals werde ich glauben, daß es schädlich und also verwehrt sein soll, jene ideale Forderung aufzustellen, auch wenn sie meinethalb im Augenblick keine Aussicht auf Verwirklichung hat.«
Er hatte Messer und Gabel nicht weggelegt, er sprach möglichst einfach. Aber die kugeligen Augen brannten wild aus dem gelblichweißen Gesicht, er schaute durch Sepp hindurch,und diese fanatischen Augen machten seine Rede all seinen Bemühungen zum Trotz pathetisch. »Es müssen in jeder Epoche Menschen aufstehen«, fuhr er fort, »welche die idiotische, närrische, undankbare und gefährliche Aufgabe auf sich nehmen, dieses utopische Ziel zu verkünden. Man kann nicht nach der Bergpredigt leben, das wissen wir alle. Die Forderung: liebe deine Feinde, ist übermenschlich, also unmenschlich. Dennoch mußte sie und muß sie immer von neuem erhoben werden, wenn der Mensch nicht vertieren soll. Und ebenso muß die Forderung des ewigen Friedens immer von neuem erhoben werden, auch wenn der, der sie erhebt, als Trottel, Narr und Schädling verhöhnt und angehaßt wird. Mißverstehen Sie mich nicht«, schloß er, leicht errötend, lächelnd. »Ich sehe keine besondere Größe darin, zu diesen Menschen, zu diesen Narren, zu gehören. Es ist eine sehr schwere Berufung. Aber mir bleibt nichts anderes übrig. Was soll man tun, wenn man nun einmal im Leben nichts hat als diese Narrheit?«
Was Friedrich Benjamin da vorbrachte, war Sepp furchtbar fremd. Für ihn, den gesunden Bayern, stak hinter dem, was der andere da sagte, ein sentimentaler, hysterischer Messianismus, der ihm auf die Nerven ging. Aber er war zu musisch, um nicht angerührt zu werden von der Aura des andern. Als Künstler hatte Sepp die Gabe, von den Meinungen eines Menschen abzusehen, ihn als ein Ganzes zu schauen. Mit der Klarheit, mit welcher der Scheinwerfer eines Autos ein Stück Gegend aus der Nacht herausreißt, riß er auf Augenblicke diesen ganzen Mann Friedrich Benjamin, das Heroische und das Lächerliche an ihm in einem , aus der Undeutlichkeit des Alltags vor sein inneres Aug.
Er lehnte, Sepp, in seinem Stuhl zurück, die Beine unmanierlich von sich gestreckt, nachdenklich. Einen Augenblick dachte er daran, dem andern zu erwidern. Dann indes fand er es aussichtslos und schwieg.
Während dieses Schweigens aber rodete er den letzten Haß und die letzte Liebe für Friedrich Benjamin aus seiner Seeleaus. Wenn ich das Essen bezahlt haben werde, stellte er mit einer kleinen Verwunderung und viel Genugtuung fest, dann werden wir ein für allemal quitt sein. Dabei habe ich diesem Benjamin eigentlich noch mehr zu verdanken als er mir. Wenn ich ihn nicht vertreten hätte, wenn ich nicht, während ich an seinem Schreibtisch saß, erlebt hätte, was ich erlebt habe, dann könnte ich niemals den »Wartesaal« schreiben. Ich hab eine lange Leitung, und was Kunst ist, das ist mir erst jetzt während dieser Wartezeit aufgegangen, zu
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