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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schließlich für einen Roman, der einen kulturbolschewistischen, aus Deutschland vertriebenen Schriftsteller zum Autor und das Schicksal deutscher Oppositioneller zum Gegenstandhatte. Herr von Gehrke las mit Interesse, nicht ohne ästhetisches Wohlgefallen, an manchen Stellen ergriffen.
    In dem Buche gestreift war auch das Schicksal des Schriftstellers Theodor Lessing, den Nationalsozialisten »erledigt« hatten, und Herr von Gehrke, während er diese Stelle las, dachte an den Redakteur Benjamin. Zu albern, daß die Geschichte nicht glatt gegangen war.
    Er legte sich in die Kissen zurück und führte mechanisch die Zunge die Zahnstümpfe entlang, die provisorisch mit Watte gefüllt und mit Wachs verschlossen waren. In vierzehn Tagen, in spätestens drei Wochen wird er sich seinen Freunden mit den neuen Zähnen präsentieren, er wird strahlend und unbehindert lächeln. Die Gedanken an den Redakteur Benjamin verschwanden. Er richtete sich wieder hoch, trank von seinem Burgunder, las weiter. Mehr und mehr packte ihn der Roman des Kulturbolschewisten. Eigentlich, dachte er, müßten uns diese emigrierten Schriftsteller dankbar sein, daß wir ihnen so großartige Stoffe liefern.
6
Kunst und Politik
    Obwohl Sepp Trautwein bei Friedrich Benjamins Überfälligkeit als einer der ersten an eine Gewalttat der deutschen Polizei gedacht, hatte es ihn wie ein Schlag getroffen, als sich durch die Mitteilung der Schweizer Behörden und durch die Verhaftung Dittmanns seine Vermutung bestätigte.
    Er hatte geglaubt, für ihn hätten Begriffe wie Unrecht, Verletzung der Menschenrechte, Gewalt von jeher mehr Inhalt gehabt als für die meisten andern. Nach der Entführung Benjamins erkannte er, daß sie auch für ihn nichts gewesen waren als Worte. Jetzt erst gewannen sie ihm Körper. Er sah das Unrecht, spürte es, es legte sich ihm um den Hals, würgte ihn. Es hatte sich im Dritten Reich manches Scheußliche,unvorstellbar Grausige ereignet, das ihn nahe anging; Freunde von ihm waren unter den Erschlagenen, in den Konzentrationslagern Eingesperrten. Das alles verblich jetzt vor der Entführung Benjamins.
    Wut faßte ihn gegen die Entführer. Er schimpfte maßlos. Auch auf Benjamin schimpfte er. »Nach Basel muß er fahren«, fluchte er, »an die Grenze, dieser Trottel, dieser vierkantige Idiot, dieses gußeiserne Rindvieh«, und er beschimpfte sich selber, daß er ihn nicht zurückgehalten. Aber weggespült war trotz solchen Geschimpfes seine Wesensfeindschaft gegen Benjamin, der gutmütig verächtliche Ärger über sein Sybaritentum und über seine Hörigkeit von Ilse. Statt dessen wuchs in ihm würgendes Mitleid mit dem Verschwundenen. Benjamin verklärte sich ihm. Ihm war, als hätte er persönlich etwas an ihm gutzumachen. Er lachte sich selber aus, doch er konnte sich dieses Gefühls nicht erwehren.
    Man hatte ihm in der Redaktion den Schreibtisch Benjamins zugewiesen. Das war ein abgenutzter Schreibtisch wie eine Million andere, aber der sonst solchen Regungen keineswegs zugängliche Trautwein spürte davor eine fast abergläubische Scheu. Der abwesende Benjamin war ihm mehr gegenwärtig, als es der gegenwärtige je gewesen. Wenn er sich an seinen Schreibtisch setzte, war ihm, als setzte er sich in das geistige Luftbild des andern hinein. Er versuchte, sich den realen Friedrich Benjamin vorzustellen, etwa wie er ihm gegenüber gesessen war in dem Restaurant Coq d’Argent, essend, sich den Mund wischend, aber es gelang ihm nicht; sogar dieser genießerisch fressende Benjamin seiner Erinnerung wurde ihm unkörperlich, ein kleines, grünliches Licht war um ihn, wie es die Geister bestrahlt hatte, die Trautwein als Knabe in gewissen Theaterstücken gesehen, und es war um diesen Friedrich Benjamin und seine Worte eine kleine, furchtbare, geisterhafte Musik wie um den Steinernen Gast.
    Trautwein hatte Ilse Benjamin nie leiden können, aber er brachte den Ton nicht aus dem Ohr, in dem sie gesagt hatte: »Helfen Sie mir doch.« Dieser Klang stachelte ihn immer vonneuem, füllte ihn mit Mitleid und Zorn. Er sah die Wärter und Polizeimenschen, wie sie über Friedrich Benjamin herfielen, naive, rohe Bauern und Vorstädter, die jetzt ihre dunkeln Triebe an dem Verhaßten auslassen konnten. So dachte und spürte er, als ihm Gingold den Antrag machte, endgültig an Stelle Friedrich Benjamins in die Redaktion einzutreten. Der Antrag erregte ihn. Er wußte: wenn er ihn annimmt, ist es für lange Zeit vorbei mit seiner Musik.
    Aber es geht ihm

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