Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
gegen das Gewissen, abzulehnen. Als Redakteur der »Nachrichten« wird er näher an der Quelle der Informationen über Friedrich Benjamin sitzen, wird er rascher eingreifen können, wird er mit großen ausländischen Zeitungen Fühlung nehmen, die Sache Benjamins wirksamer fördern können. Und diese Sache läßt ihn nicht los. Es geht von dem verschleppten, vergewaltigten Friedrich Benjamin, von seinem Schreibtisch, selbst von seiner nicht angenehmen Stimme, wie sie ihm noch im Ohr ist, eine Magie aus, gegen die er seinen Verstand umsonst zu Hilfe ruft.
Unschlüssig wie nie in seinem Leben, bat er sich Bedenkzeit aus.
Er besprach die Angelegenheit mit Anna. Sie riet ihm mit einer Heftigkeit ab, auf die er nicht gefaßt war. »Was?« entrüstete sie sich. »Sie wollen dich ganz für ihre lächerlichen ›P. N.‹ einspannen? Sie muten dir zu, daß du deine Musik an den Nagel hängst? Die sind ja wohl von einer wilden Kuh gebissen.« Sepp, durch ihre Heftigkeit gereizt, erwiderte: »Sie bieten mir eine Redaktionsstelle an. Ist das eine Zumutung? Und daß ich dann auf meine Musik verzichten müßte, das ist auch maßlos übertrieben. Die Sprachstunden in der Akademie werde ich aufgeben müssen, aber um die ist es nicht schade. Und für ›Die Perser‹ werde ich bestimmt eine Masse Zeit frei haben.« Anna kannte ihren Sepp und sah ihm an, daß er gegen seine Überzeugung sprach. »Das glaubst du doch selber nicht«, stellte sie rücksichtslos fest. »›Die Perser‹ haben schon genug gelitten durch diese albernen ›P. N.‹. Soll dich deine Politik jetzt ganz auffressen? Du denkst doch auch selber nicht imErnst daran. Der Kampf gegen die Nazi ist eine gute Sache, zugegeben, und es ist deine Sache. Aber daß du aus Deutschland fortgegangen bist und alles hingeworfen hast, damit hast du deutlich genug demonstriert. Du hast wahrhaftig das Deine getan. Du brauchst dich nicht auch noch in deinem Winkelblatt zu vergraben.«
Mit seiner Vernunft mußte Sepp ihr recht geben. Was ihn in seinem Innersten bedrängte, diese wilde Sehnsucht, Friedrich Benjamin zu helfen, davon konnte er ihr nichts sagen; beinahe schämte er sich der unbegreiflichen Heftigkeit seines Gefühls. »Schau einmal her, Alte«, deutete er ihr vorsichtig an, »da ist zum Beispiel dieser Fall Benjamin. Den möchte ich mir vom Herzen schreiben. Ich habe da nämlich einiges zu sagen.« – »Das kannst du aber doch auch«, fiel ihm Anna ungestüm ins Wort, »ohne daß du dich diesen ›P. N.‹ mit Haut und Haar verkaufst.« – »Ich muß aber Material haben«, erklärte Sepp, »Material aus erster Hand, und das krieg ich nur, wenn ich auf der Redaktion sitze. Wenn man im Fall Benjamin etwas erreichen will, dann muß man den Nazi ihre Lügen nachweisen, eine nach der andern.« – »Ich begreife dich einfach nicht«, schüttelte Anna den Kopf. »Wir alle haben Mitleid mit Benjamin und unsere helle Wut gegen die Nazi. Aber es sind schließlich den Hitlerleuten Menschen in die Hände gefallen, die uns näherstanden. Du hast für sie gesprochen, du bist für sie herumgelaufen. Aber dein ganzes Leben hinzuschmeißen, deine Musik aufzugeben, an so was hast du doch nicht gedacht wegen der andern. Und jetzt auf einmal?«
Sepp hatte sich selber schon gesagt, daß seine Opferbereitschaft sinnlos war. Anna hatte recht, die eigene Vernunft bestätigte ihm, was sie vorbrachte, aber das nützte ihm nichts. Anna kann leicht Vernunft für ihn haben. Vernunft hat man immer nur für die andern, für sich selber hat man sie selten. Es ist nun einmal jede zweite Handlung, die ein sogenannter vernünftiger Mensch begeht, vom Unbewußten diktiert und gegen die Vernunft. Das erkennt man in lichten Momenten, aberin der Praxis folgt man immer wieder dunklen Stimmen, die nichts mit dem gesunden Menschenverstand zu tun haben.
Da ihm nichts Besseres einfiel, sagte er schließlich: »Außerdem wäre es doch gut, wenn ich endlich einmal etwas mehr zum Haushalt beitragen könnte. Ich mag dir nicht ewig auf der Tasche liegen.« Das war reichlich ungeschickt; er merkte es schon, während er es vorbrachte. Sie funkelte ihn denn auch an, ernstlich zornig. »Red doch nicht solchen Bockmist«, sagte sie. »Seit wann bist du auf Geld aus? Willst du ›Die Perser‹ liegenlassen wegen ein paar hundert Franken im Monat? Wenn ich übrigens die Rundfunkaufführung durchdrücke, bringt das allein mehr, als du in einem halben Jahr aus deinem Gingold herausquetschen kannst. Sei gescheit, Sepp«,
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