Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
geholfen, so gut er es vermochte, aber er vermochte nicht viel. Schließlich fand Tschernigg Unterkunft nur mehr in dem Barackenasyl, welches ein Komitee den Elendesten der deutschen Emigranten zur Verfügung gestellt hatte. Er nahm auch diese letzte Wendung seines Schicksals mit stoischem Zynismus hin, als Bestätigung seiner bitteren, nihilistischen Lebensweisheit.
Trautwein mußte, um zu den Baracken zu gelangen, eine gute Strecke mit der Metro fahren und dann noch zwanzig Minuten laufen. Es war eine trostlose Vorortgegend, durch die er lief, hohe, kahle Mietshäuser und freies Feld, die Straße war kotig, verwahrlost. Doch er hatte kein Aug dafür, eilig lief er, die meiste Zeit vor sich hin zu Boden starrend, durch den feuchtkalten, unwirtlichen Märzabend. Endlich, lang, niedrig, häßlich, hob sich die Zeile der Baracken vor ihm. Es bedurfte vielen Geredes, bis man ihn, mürrisch, mißtrauisch, zu so später Stunde einließ.
Sepp Trautwein hatte Tschernigg bisher nur bei Tage besucht.Wie er die ganze Trostlosigkeit des Raumes, in welchem der Freund, zusammengepfercht mit mehr als zwanzig andern, seine Tage und Nächte verbrachte, jetzt zum erstenmal im grellen Licht einer nackten, elektrischen Birne sah, überlief es ihn, obwohl er wenig abhängig war von äußeren Dingen des Lebens. Matratzen lagen auf der Erde, eng nebeneinander, dünne, schmutzige, zerflickte Decken darauf, in die Wände waren ein paar Haken und Nägel eingeschlagen, an denen die Insassen ihre Kleider aufhängen konnten, für sonstige Habseligkeiten gab es keinen Platz. Scheußliche, stickige Luft füllte den kahlen, weit und doch engen, in der Helle doppelt traurigen Raum.
Tschernigg lag auf seiner Matratze, die roten Hände hinter dem fast ganz beglatzten Schädel verschränkt, faul, dumpfig. Als er Trautwein wahrnahm, richtete er sich halb hoch. »Schlängeln Sie sich durch, Professor«, rief er ihm mit seiner sanften, hohen Kinderstimme zu, er hielt darauf, den Leuten, mit denen er sprach, korrekt ihre Titel zu geben. »Treten Sie ruhig auf die Matratzen, die werden höchstens besser. Setzen Sie sich zu mir aufs Bett, einen andern Sitz kann ich Ihnen nicht anbieten.«
Trautwein tat, was Tschernigg ihm gesagt hatte. Unbequem, die spitzen Knie hoch, saß er auf Tscherniggs Matratze. Der hatte sich wieder zurückgelegt, sein fahles, schwammiges, mit Sommersprossen überdecktes, schlechtrasiertes Gesicht sah zu Trautwein hoch, die Augen, zwischen der kleinen Nase und der mächtigen in die Glatze übergehenden Stirn vorquellend, blinzelten im elektrischen Licht. »Es ist nett von Ihnen, Professor«, sagte er, »daß Sie sich einmal wieder sehen lassen. Sie sollen auch gleich den Lohn dafür haben. Es sind mir ein paar Verse für ›Die Perser‹ eingefallen. Die drei Verse für den Schlachtbericht, mit denen wir nie zufrieden waren.« Er sprach nicht sehr laut, wohl wegen der andern, die Trautwein neugierig, unfreundlich musterten. Trautwein, so nahe er ihm saß, mußte sich anstrengen, ihn zu verstehen. Er fühlte sich unbehaglich.
Tschernigg, der ihm den Text der »Perser« für seine Zwecke bearbeitete und der in Kunstdingen nicht die geringste Lässigkeit durchgehen ließ, feilte seit Jahren an jedem Vers herum. Das war genau das, was Trautwein sich wünschte, und es war ihm eine immer neue Freude, sich mit Tschernigg über seine Verse zu unterhalten. Heute aber nahm ihn das Problem, um dessentwillen er gekommen war, so in Anspruch, daß er sich kaum zu den »Persern« zurückzwingen konnte; auch raubte ihm die grelle Kahlheit der Umgebung die rechte Konzentration.
Er hielt es einfach nicht länger aus, hier mit Tschernigg zu sprechen. »Hören Sie«, bat er, »gehen wir woandershin. Ich kann mich hier nicht ernsthaft mit Ihnen unterhalten.« – »Das ist ein Fehler von Ihnen«, höhnte mit seiner sanften Stimme Tschernigg. »Ich zum Beispiel muß hier ernsthaft leben.« Und da Trautwein darauf bestand, wegzugehen, fügte er hinzu: »Es gibt hier ein Ding, das Hausordnung heißt. Mit jeder Veränderung seiner Lage sieht sich der Mensch einem andern Hauptfeind gegenüber. Hier ist es die Hausordnung. Es wundert mich, Professor, daß Sie es geschafft haben, um diese Stunde einzudringen. Nach sieben muß man nämlich viele Prüfungen durchstehen, ehe man hier herein- oder hinausgelassen wird.« Dennoch machten sie sich schließlich auf den Weg, und nach einigem Parlamentieren gelang es ihnen auch, auf die Straße zu kommen.
Da
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