Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
bat sie. »Es war tapfer genug, daß du, wie Hitler kam, gleich das Richtige getan hast. Das war ein Vorbild für viele, und das ist wichtiger als hundert Artikel. Praktische Politik für den Alltag machen, das kannst du doch überhaupt nicht. Überlaß das gefälligst den Berufspolitikern und Berufsjournalisten. Die tausend kleinen Drehs, die man da braucht, das ist nicht deine Sache. Dafür bist du nicht robust genug, dafür bist du zu anständig. Willst du mit einem Hitler konkurrieren? Um die gute Sache durchzusetzen, um bei den Massen für die gute Sache zu wirken, dazu müßte einer heute schon ein Christus und ein Macchiavell in einem sein.« Sepp lachte: »Komm mir nicht mit Aphorismen, Alte. Was ich will, dafür genügt, daß ich es genau weiß und daß ich anständig schreibe.«
Anna hatte erkannt, daß was Tieferes im Spiel sein mußte, gegen das sie mit Erwägungen des Verstandes nicht aufkam. »Ich bitte dich inständig«, sagte sie dringlich, und ihre schöne, volle Stimme machte Sepp das Herz warm, »geh nicht noch weiter in die Politik hinein. Du selber hast oft genug gesagt, daß gute Kunst die beste Politik ist. Es ist schon arg genug, daß ich dir nicht mehr helfen kann bei deiner ernsthaften Arbeit; es geht mir schrecklich ab. Laß du dich nicht noch selber abdrängen von deiner Musik. Musik zu machen, dafür bist du da. Schau her, Sepp, ich hab kein Talent,um mich ist es nicht schade, wenn ich bei meinem Doktor meine widerliche, subalterne Arbeit verrichte. Aber du, wenn du dich deinem Gingold und den ›P. N.‹ verkauftest, wenn du Arbeit machtest, die andere besser machen können, statt deiner Musik, die nur du machen kannst, das wäre ein Jammer.«
Sepp wollte nicht wahrhaben, daß ihn ihre Worte anrührten. »Gar so niedrig«, maulte er halb im Spaß, »solltest du meine Schreiberei doch nicht einschätzen. Wer sagt dir denn so genau, daß es lauter Dreck ist? Und was sagst du nachher, wenn ich den Friedrich Benjamin doch herauskriege?«
Sie ging auf seinen scherzhaften Ton nicht ein. »Versprich mir«, verlangte sie, »daß du dir’s noch einmal überlegst, eh du was Endgültiges tust.« Er versprach es, und in seinem Herzen gelobte er sich, daß er wirklich alles nochmals und gründlich überdenken werde. Doch im stillen wußte er, daß das nichts nützen wird.
Für den nächsten Morgen hatte er Gingold Bescheid versprochen. Der Abend kam, und noch immer war er unschlüssig wie im ersten Augenblick. Noch immer stand gegen das Nein seiner Vernunft das Ja seines Gefühls.
Er beschloß, die Sache mit seinem Freund Oskar Tschernigg zu bereden.
Viele fanden diesen Oskar Tschernigg anregend; ernst nahmen ihn wenige. Sepp Trautwein liebte ihn leidenschaftlich, den Mann und seine Verse. Das Ungebundene an ihm, das Anarchische, Nihilistische zog ihn an. Anna spürte tief den Reiz seiner Gedichte; doch was Sepp an Oskar Tschernigg lockte, das machte ihn ihr unheimlich. Sie eiferte gegen das Zigeunerhafte an ihm, gegen die Trägheit, mit der er sich vor allen Verpflichtungen drückte, die ihm sein Talent auflegte. Sein ganzes Leben hatte dieser Vierzigjährige damit verbracht, zu lesen, Musik zu hören, Bilder anzuschauen, spazierenzugehen, ab und zu mit einer Frau zu schlafen und mit allen und jedem über alles und jedes zu diskutieren. Ist das ein Leben? Entband Begabung einen Mann jeder Verpflichtung vor sich selber und vor der Welt?
Trautwein lachte nur, wenn Anna so sprach. Ihm, vielleicht gerade weil er so ganz anders war, gefiel Tschernigg, was er sagte und was er tat, das ganze Leben des Mannes, sein Gehabe, seine Verse, seine Prosa. Auch war, fand Sepp, Oskar Tschernigg einer der wenigen, die begriffen, was er, Sepp, mit seiner Musik wollte. Dabei war Tschernigg streng, hart, frech, lehnte das meiste, was Sepp gemacht hatte, verächtlich ab und ließ nur weniges als Ansätze wahrer Musik gelten, als »klassisch, mathematisch«. »Opium, Professor«, urteilte er etwa, wenn Trautwein ihm vorspielte, »fast lauter Opium. Manchmal sinken Sie bis zu Richard Wagner hinunter. Unter den zwölf Seiten Noten, die Sie mir da gezeigt haben, sind, wenn es hochkommt, zehn Takte wirklicher Musik.« Und wie über Trautweins Musik urteilte er über das meiste, was Trautwein tat und ließ.
In Deutschland hatte Tschernigg von einer kleinen Rente, die Verwandte ihm ausgesetzt, zigeunerhaft gelebt. Im Exil war diese Rente so zusammengeschrumpft, daß er vollends verwahrloste. Trautwein hatte ihm
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