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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gingen also die beiden Männer durch die öde Vorstadt, die kotige, verwahrloste Straße entlang. Tschernigg hatte einen schäbigen, zerlöcherten Havelock an und einen schmutzigroten Wollschal um den Hals. Er fror sichtlich in der feuchten Kälte der Nacht, und Trautwein hielt es, wenn er ein richtiges Gespräch mit ihm haben wollte, für angebracht, irgendeinen warmen Ort aufzusuchen. An einem Haus, das hoch, vereinzelt, verloren inmitten öden Geländes stand, zeigte eine Leuchtschrift das Café Zur guten Hoffnung an. Sie traten ein.
    Es war ein grellbelichteter Raum, voll von Fuselgestank,aber warm. An der Theke unterhielten sich ein paar Männer lärmend mit dem Wirt, an einem Tisch saß ein derbgeputztes Mädchen mit einem alten Mann, aus dem Radioapparat kam Tanzmusik. Trautwein bestellte für Tschernigg einen Glühwein, für sich ein Bock. Sie saßen, genossen die übelriechende Wärme, tranken.
    Tschernigg hockte da, Schweißperlen auf der Glatze, die Zigarre schräg im Froschmaul, gedunsen, ein ins Gigantische gepäppeltes, zu früh geborenes Baby, und gab hochmütige, aristokratisch-nihilistische Reden über Kunst von sich. Trautwein hörte zu, beiden war wohl. Schließlich zog Tschernigg Manuskripte heraus, Verse, die er in den letzten Tagen gemacht hatte, Gedichte, populär, wie er sagte, und mit Zugeständnissen an die Dummheit der Masse, und mit seiner hohen Stimme, inmitten des Gelärms der Gäste, las er Trautwein die Gedichte vor, wilde, ungeheuerliche Strophen, durchtränkt von Verachtung, Bitterkeit, Verzweiflung, die Welt beschreibend als ein schmutziges Gefäß, voll von Dummheit, Angst, Eitelkeit, Geilheit.
    Tschernigg bemüht sich, gleichgültig zu erscheinen, doch Trautwein weiß, wie gespannt er ist, nun er ihm, seinem einzigen Freund und Versteher, sein Werk vorliest. Aus den zynischen Versen hört Trautwein die Qual und Sehnsucht des erniedrigten Dichters heraus. Tscherniggs Verse wühlen ihn auf, immer wühlen sie ihn auf, sie haben ihren eigenen Ton, man würde sie aus allen Versen der Welt herauskennen. Der Mann sitzt vor ihm, dreckig und speckig, in dem grellen Licht erkennt man jede Stoppel des unrasierten Gesichts, sein Atem riecht verdorben. Die Menschen ringsum, so wenige es sind, machen viel Lärm, Tschernigg, aus Scham, daß er seine Verse liest, dämpft seine ohnehin leise Stimme noch mehr, Trautwein muß sich anstrengen, damit ihm kein Wort entgeht. Er strengt sich an, er verspürt vor diesen Gedichten Erhebung wie sonst nur vor ganz großer Kunst, und während er der hohen, gewaltsam unpathetischen Stimme zuhört, merkt er, wie ihm, mitten im Gelärm und Fuselgestank der Kneipe, Töne kommen,Musik. So blutig Tschernigg ihn als Spießbürger zu verhöhnen pflegt, Trautwein weiß, sie sind einer dem andern tief und dankbar verknüpft.
    »Schön«, sagt er, wie Tschernigg zu Ende ist, »großartig.« – »Das weiß ich schon von alleine«, erwidert sanft und überlegen Tschernigg. »Ich habe Ihnen die Verse nicht vorgelesen, mein Gönner, damit Sie sie beurteilen, sondern damit Sie mir Honorar dafür verschaffen. Sie haben in letzter Zeit wenig für Ihren ergebenen Jünger getan. Ich bin leider wieder einmal vollkommen blank.«
    Tschernigg hat recht. Trautwein hätte seine Tätigkeit an den »P. N.« dazu benutzen können, Tscherniggs Verse unterzubringen. Es erfordert freilich Intensität, so zynische Verse bei den andern durchzusetzen, und er hat seine ganze Intensität nötig gehabt für die Sache Benjamin. Wenn er aber jetzt die angebotene Dauerstellung annimmt, wird er bestimmt auch für Tschernigg was erreichen können. Seine ständige physische Anwesenheit ist da wichtiger als die Qualität von Tscherniggs Versen. Das wäre ein Grund mehr, Gingolds Angebot anzunehmen.
    »Wenn Sie große Literatur haben wollen, Professor«, hat unterdessen Tschernigg weitergesprochen, »dann brauchen Sie sich bloß in unser Asyl zu bemühen. Wirkliche Literatur findet nur mehr dort Unterschlupf. Wir haben da einen jungen Menschen zugekriegt, er hört auf den unschönen Namen Harry Meisel, er ist erst neunzehn. Professor, der Junge schreibt eine Prosa – fast wie ich Verse.«
    »Lieber Tschernigg«, entschuldigte sich Trautwein, »welche Schwierigkeiten es macht, Ihre Verse bei einem bürgerlich respektablen Blatt durchzudrücken, brauche ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen. Übrigens werde ich wahrscheinlich trotzdem bald mehr für Sie erreichen können.« Und er erzählte ihm von dem

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