Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
war. Er beschloß, nein zu sagen.
Er konnte nicht schlafen nach diesem Entschluß. Die SacheBenjamin ließ ihn nicht schlafen, und er wußte, wenn er nein sagt, wird sie ihn auch weiter nicht schlafen lassen. Er wird nicht essen können, nicht trinken, nicht arbeiten. Der Gedanke an Friedrich Benjamin wird ihm, wenn er ablehnt, das Leben mehr vergällen als, wenn er annimmt, der Gedanke an seine Musik und sein Lebenswerk.
Er war unschlüssig. Noch als Gingold ihn fragte: »Wie ist das also, geschätzter Herr Professor, kommen Sie zu uns?«, war er unschlüssig.
Dann, nach zwei Sekunden Zögerns, sagte er ja.
In diesen nächsten Tagen arbeitete er, daß ihm der Kopf rauchte. Vor allem benützte er, wie er sich’s vorgenommen, seine Stellung, um für Benjamin zu wirken. Es waren auch andere durch Benjamins Schicksal aufgerüttelt worden, man spürte ihre Erregung in der Öffentlichkeit, in den Zeitungen. Sepp Trautwein tat das Seine, diese Erregung nicht abflauen zu lassen. Gegen seine Art war er diesmal wild geschäftig. Rief bei den Organisationen an, die ihm behilflich sein konnten, rannte zur Polizei, wurde beim Auswärtigen Amt vorstellig, beim Schweizer Gesandten. In wenigen Tagen wurden dank seiner Arbeit die »P. N.« zur Zentrale des Kampfes für Friedrich Benjamin. Von Trautwein holte man sich, an Trautwein schickte man alles Material, das zur Rettung des Verschleppten verwandt werden konnte. Er sichtete, redigierte, rackerte sich ab.
Wenn er sich dann, nach einem ausgefüllten Tag, endlich ins Bett legen konnte, war er so übermüdet, daß er keinen Schlaf fand. Manchmal, während des Gehetzes, stieg in ihm der Gedanke an »Die Perser« auf, ganz ferne, und dann sagte er sich grimmig, wie merkwürdig es sei, daß er, den letzten Endes die Musik ins Politische getrieben hatte, nun um der Politik willen seine Musik aufgab.
Schon am Tage, da er zum erstenmal vom Verschwinden Friedrich Benjamins gehört, hatte er den Plan gefaßt, das innere Bild, das er jetzt von dem Verschwundenen in der Seeletrug, festzuhalten in einem Aufsatz, welcher aller Welt deutlich machen sollte, wer Friedrich Benjamin war und welch nie dagewesenes Unrecht an ihm begangen wurde.
Er schrieb also. Er ließ sich nicht hetzen. Er schrieb kalten Kopfes und warmen Herzens und ließ nichts Zufälliges in dem Artikel stehen. Er wollte sich und Anna beweisen, daß er seine Kunst nicht um nichts aufgegeben hatte.
Es handelte aber sein Aufsatz von Friedrich Benjamin, seinem Freunde – ja, seinen Freund nannte er ihn jetzt –, von den Gaben und dem Feuer dieses seines Freundes, von seinem endlosen, tapferen Kampf gegen Dummheit und Gewalt. Von dem wüsten Traum, der jetzt Wirklichkeit geworden, wie nämlich dieser gute Kämpfer in die plumpe Falle der Barbaren geraten war, und besonders handelte der Aufsatz – denn es war ein Musiker und ein Künstler, der ihn geschrieben – von der gestörten Harmonie der Welt. Der Zorn über diese gestörte Harmonie mußte den Leser ergreifen und mitreißen; es entlud sich nämlich dieser Zorn nicht in allgemeinen Worten: er argumentierte mit Vernunft.
Man hatte über die Entführung des Journalisten Friedrich Benjamin viel geschrieben; trotzdem klangen Trautweins Worte neu, nie gehört, und der Fall Benjamin erschien jetzt bedrohlicher, erregender. Viele Zeitungen druckten den Aufsatz nach.
Es lasen den Aufsatz Männer von Einfluß, Schwerindustrielle, Finanzmänner; für einen Augenblick vielleicht waren sie, der eine oder andere, bewegt, dann dachten sie an ihre Geschäfte und legten ihn skeptisch beiseite. Es lasen den Aufsatz Staatsmänner der kleinen, machtlosen Länder an den Grenzen des Deutschen Reichs, sie kochten vor Wut und Empörung, allein schon in diese Wut mischte sich der Gedanke: Wie unangenehm. Wie werden wir mit unserer Opposition fertig, wenn sie uns zwingen will, diesen mächtigen Deutschen die Stirn zu zeigen? Es lasen den Artikel Juristen, sie schüttelten den Kopf, begierig, was nun geschehen werde, von vornherein überzeugt, es werde nichts geschehen.
Es lasen den Artikel wohlmeinende, ahnungslose Pazifisten. »Man muß die Leute nur an den Ratstisch bringen«, meinten sie, »ihnen gut zureden und mit ihnen verhandeln, dann wird es besser.« Es lasen den Aufsatz Ethiker, sie empörten sich und riefen voll Überzeugung: »Ein solches Regiment kann nicht dauern.« Es lasen den Aufsatz Männer der Wirtschaft und sagten: »Scheußlich, daß man sich mit diesen Hunnen
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