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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verhalten muß, aber wir brauchen sie für unsere Geschäfte.« Es lasen ihn Leute, welche das Verderben der Welt darin sahen, daß es in ihr so viel knochenlose Demokratie und Humanitätsduselei gab, und die somit Rettung lediglich von den deutschen und italienischen Faschisten erhofften; sie legten den Aufsatz beiseite und sagten: »Erstens ist es nicht wahr, und wenn es doch wahr sein sollte, dann werden die Deutschen ihre Gründe gehabt haben, und sie haben recht.« Es lasen Trautweins Aufsatz viele Frauen, und sie bekamen Tränen der Wut und des Mitleids in die Augen. Es lasen ihn junge Menschen, Zorn stieg in ihnen hoch, und sie sagten: »Wann endlich wird man uns erlauben, diese Verbrecher mit den Waffen zu vernichten?« Es lasen den Aufsatz Anhänger der Gewalt, und es lasen ihn Anhänger der Verständigung; die einen mißbilligten und die andern billigten, in ihren Herzen wußten sie alle, daß weder ihre Billigung noch ihre Mißbilligung an den Tatsachen etwas ändern werde.
    Viele Millionen Menschen lasen den Aufsatz. Die meisten unter ihnen waren eine Minute lang empört, in der nächsten vergaßen sie Sepp Trautwein und Friedrich Benjamin.
7
Einer der neuen Herren
    Es las den Aufsatz auch Erich Wiesener, der Pariser Vertreter der »Westdeutschen Zeitung«, der angesehenste unter den nationalsozialistischen Zeitungsleuten.
    Erich Wiesener wußte, was schreiben heißt, er vermochte die Kraft und Würze des Aufsatzes als Kenner zu schätzen. Wie heißt der Autor? Trautwein? Ist das nicht ein Musikmensch? Sieh mal an, manchen Leuten ist die Emigration bekommen. Der Herr Musikprofessor zum Beispiel hat schreiben gelernt.
    Allerdings gibt der Stoff, den wir ihm geliefert haben, einiges her. Was für Bockmist haben wir da wieder einmal gemacht. Die Europa raubt man oder die Sabinerinnen: aber Herrn Friedrich Benjamin, Fritzchen? Solange wir die Aufrüstung noch quasi geheim betrieben, mochte der gute Mann vielleicht Schaden anrichten. Aber jetzt? Zu blöd. Das Pack, das in Berlin hochgekommen ist, fühlt sich. Sie können es nicht lassen, kleine, persönliche Ressentiments abzureagieren. Sie lassen sich gehen, sie »nehmen Rache«. Die Rache der Kriemhild ist das aktuellste an den Nibelungen, die Treue ist weniger aktuell. Die Rechnung für die Rache haben dann die andern zu zahlen. Der 30. Juni hat uns allerhand gekostet. Ossietzky kostet uns auch. Jetzt dieser Friedrich Benjamin.
    Wahrscheinlich hat Spitzi diese geniale Idee ausgeheckt. Eigentlich merkwürdig. Denn wenn auch nichts Berühmtes von ihm zu vermelden ist, Dummheiten hat er sich bisher keine geleistet. Im Gegenteil, er macht den Eindruck eines gerissenen Jungen. Wie immer, in dieser Sache Benjamin hat er keine glückliche Hand gezeigt.
    Erich Wiesener lächelt ein kleines Lächeln. Wahrscheinlich ist es wegen des Artikels dieses Trautwein, daß Spitzi ihn schon in aller Frühe angeläutet und um ein Rendezvous gebeten hat. Sonst ist unser lieber Herr von Gehrke nicht so matinal. Es besteht eine alte Rivalität zwischen der Deutschen Botschaft und ihm, Wiesener. Die Botschaft in der Rue de Lille vertrat die Reichsregierung, er, Wiesener, bekam manchmal über den Kopf des Botschafters hinweg Sonderaufträge von den Berliner Machthabern; genau abgegrenzt waren die Kompetenzen nicht. Wiesener prätendierte keineswegs, eine Art Nebenbotschafter zu sein, aber manche Stellen in Parishatten erkannt, daß man zuweilen rascher ans Ziel gelangte, wenn man mit ihm als wenn man mit der Botschaft verhandelte. Sehr einfach war die Zusammenarbeit zwischen der Botschaft und Wiesener nicht. Der geschmeidige Spitzi mit seinem liebenswürdigen Phlegma war, das mußte man zugeben, der beste Mann, zwischen den beiden Stellen zu vermitteln. Wiesener hatte gegen ihn nicht das geringste, er war ihm eher sympathisch. Trotzdem gönnte er ihm den Hereinfall in der Sache Benjamin.
    Jetzt muß wahrscheinlich wieder er, Wiesener, herhalten, die Sache gutzumachen, welche die andern vermasselt haben. Er seufzt ein bißchen, eitel mehr als verärgert. Jeden Tag leisten sich die in Berlin oder in der Rue de Lille eine andere Brutalität oder Hirnlosigkeit, und unsereiner muß ihr dann eine wohllautende Ideologie anschneidern. Nur gut, daß man eine leichte Hand hat und ein wendiges Hirn.
    Erich Wiesener dehnt sich behaglich in seinem Bett. Vor ihm stehen die Reste seines Frühstücks. Von seinem Bett aus durch das breite, große Fenster sieht er hinaus über den Fluß Seine,

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