Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
gehen?« Er lächelte seinem Vater zu und trank von seinem gelben Wein.
Wiesener hörte auf die Stimme seines Sohnes, die unerwartet tief aus dem jungen Gesicht herauskam. Er nahm die Hänseleien Raouls gutmütig hin. Nicht nur gingen, wenn er sich mit Raoul nicht verhielt, seine Beziehungen zu dessenMutter, zu Lea de Chassefierre, in die Binsen, er liebte auch seinen Sohn, sah in ihm das verfeinerte Abbild des eigenen Ichs. Er glitt also leicht über die Ironie Raouls fort und fragte ihn nach der Mutter.
In den Monaten, nachdem die Nationalsozialisten die Macht an sich gerissen und Wiesener sich zu ihnen bekannt hatte, war es manchmal zweifelhaft gewesen, ob Madame de Chassefierre, die jüdisches Blut hatte, ihre Bindung mit ihm nicht lösen werde, und der launische, hochmütige Raoul hatte ihm damals eine spitze Feindseligkeit bezeigt. Dann freilich im Lauf der zwei Jahre hatte sich erwiesen, daß Lea de Chassefierre Wieseners Zugehörigkeit zu den Nazi hinnahm, und Raoul hatte sich damit abgefunden, daß er, der vor der Öffentlichkeit der Sohn des stockfranzösischen, royalistischen, im Krieg gefallenen Aristokraten Paul de Chassefierre war, in Wahrheit ihn, Wiesener, zum Vater hatte. Immer wieder aber hatte er Rückfälle, Anwandlungen von Widerwillen.
Heute war er gnädig. »Mama ist nett und unpraktisch wie immer«, erzählte er vertraulich, leutselig. »Zur Zeit beschäftigt sie sich mit dem Ankauf eines neuen Wagens. Aber wenn ich nicht energisch eingreife, wird sie wieder einen Buick wählen; dabei werden auch Sie mir zugeben, daß nur ein Lancia in Frage kommt. Sie hat übrigens mehrmals von Ihnen gesprochen. Ich finde, man spricht zu viel von Ihnen«, hänselte er den Vater. »Was habt ihr da wieder angestellt, wozu mußtet ihr diesen Journalisten entführen? Ihr macht es einem wirklich verdammt schwer, euch zu verteidigen. Ich an Mamas Stelle würde mir das nicht alles antun. Ich hätte längst mit Ihnen Schluß gemacht, Papa. Die Geschichte mit diesem Journalisten«, er schüttelte den Kopf. »Wir haben da einen Artikel gelesen von einem gewissen Trautwein« – er sprach den Namen langsam, mit richtiger deutscher Aussprache, der man den fremden Akzent kaum anmerkte –, »man muß sagen, der Mann hat hundertprozentig recht.«
Wiesener war den Ton seines Sohnes gewöhnt, er schokkierte ihn und gefiel ihm, und er ließ ihn sich gerne gefallen.Heute aber traf es ihn, daß er auch aus dem Munde Raouls das Lob Trautweins hörte. Er verfinsterte sich.
Der sensible Raoul merkte, daß er auf dem Wege war, seinen Vater zu verstimmen. Das konnte er heute nicht brauchen; denn natürlich hatte er gelogen und wollte was von ihm. Er lenkte also ein. Begann von den nationalistischen Theorien zu reden, die im Schwange waren. Er hatte eine advokatische Begabung, diese Theorien je nach dem Bedürfnis des Augenblicks zurechtzubiegen. Im allgemeinen dünkte er, der das Blut alter Kulturvölker in sich hatte, lateinisches, jüdisches, sich seinem Vater, dem Boche, weit überlegen, aber im Augenblick schien es ihm opportun, Konzilianz zu zeigen. Er landete schließlich bei der Behauptung, bewußter, konzentrierter Nationalismus lehre die Angehörigen verschiedener Nationen einander besser verstehen als irgendein verwaschener Internationalismus.
Solche Sätze gefielen Wiesener. Mit seiner hellen Stimme, nicht ohne Schwung, setzte er seinem Sohn auseinander, wie tolerant im Grund der Nationalsozialismus sei. Der wahre Nationalsozialist lerne an den guten Eigenschaften anderer, er halte es für wünschenswert, sich fremde Tugenden einzuverleiben, natürlich nur so weit, als sie den eigenen Organismus nicht störten. Raoul hörte zu, mit angeregt höflichem Gesicht. Innerlich machte er freche, ironische Vorbehalte. Gewiß, Papa hat sich assimiliert, soweit eben ein Boche sich assimilieren kann. Bleibt nur die Frage, ob nicht doch vielleicht ein richtiger Boche besser ist als ein halbassimilierter. Was immer Papa anstellt, er bleibt ein Metöke, er gehört hinüber ans andere Ufer des Rheins.
Doch von solchen Erwägungen ließ Raoul jetzt kein Wort verlauten. Er war ehrgeizig, er trug ein bestimmtes Projekt im Kopf, für das er seinen Vater heute gewinnen wollte, und an Ideen, wie der sie eben entwickelt hatte, ließ sich da bequem anknüpfen. Deshalb hütete sich Raoul, Bedenken zu äußern, er stimmte vielmehr lebhaft zu und bedauerte nur, daß sich immer wieder solche Geschichten ereigneten wie die Entführungdieses
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