Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Für mich ist diese Seite die langweiligste des Metiers. Man muß viel Schmutz anfassen«, und er betrachtete melancholisch seine gut manikürten Hände. Er hatte ihn angefaßt, das zeigte sich sogleich; denn: »Ein Dossier liegt natürlich vor«, sagte er seufzend. »Ich habe es durchgeblättert.«
Es klopfte, und vor dem Herein kam Maria Hegner; sie war nun seit zehn Jahren Wieseners Sekretärin, vertraut mit all seinen Angelegenheiten. Ohne sich durch Gehrkes Anwesenheit stören zu lassen, traf sie Vorbereitungen für ihre Arbeit, holte Papier her, nahm den Deckel von der Schreibmaschine, hörte ungeniert zu, wie die beiden Herren weitersprachen.
Übrigens blieb Gehrke nicht mehr lange. Er hatte erreicht, was er wollte, und brach auf. »Ja, Spitzi«, resümierte Wiesener, »wir sind durchaus d’accord. Ich werde nichts hinübergeben, wenn Berlin es nicht direkt anfordert. Und wenn Sie sich überlegen, wie Sie den emigrierten Literaten das Leben ein bißchen saurer machen könnten, so werden Ihnen die Berliner das sicher nicht übelnehmen. Das Saure muß natürlich vorsichtig verabreicht werden, sorgfältig dosiert, aber das wissen Sie genausogut wie ich, wahrscheinlich besser. Nein, die Socken sind nicht zu hell«, sagte er autoritativ, während er Gehrke zur Tür begleitete. »Sie geben sogar erst den rechten Ton.«»Was halten Sie von Spitzi, Maria?« fragte Wiesener, nachdem Herr von Gehrke fort war. »Er hat kein Zentrum«, erwiderte Maria, etwas obenhin, den Stenogrammblock in der Hand, offenbar darauf wartend, mit der Arbeit zu beginnen. »Richtig«, meinte Wiesener, »er ist labil. Aber er hat Hintergründe. Und aussehen kann der Junge. Eigentlich habe ich erst heute so recht entdeckt, wie gut er aussieht.« Maria antwortete nicht. »Sind Sie schlecht aufgelegt?« fragte Wiesener, ein bißchen herausfordernd, doch nicht ohne Anteilnahme. »Es geht«, antwortete Maria ablehnend. Er hatte plötzlich Lust, ihr ins Gesicht zu schauen. Sie aber hielt den Blick gesenkt auf den Stenogrammblock in ihrer Hand und beharrte: »Sie wollten heute endlich den Artikel über den Streik schreiben.« – »Wollte ich?« fragte unlustig Wiesener zurück. Maria sah ihn an, ganz kurz, eine kleine, tiefe Falte zwischen den kräftigen Augenbrauen, unmutig, mißbilligend. Er, seufzend, machte sich ans Diktat.
Er diktierte zunächst träge. Bald aber fesselte ihn die Arbeit; er riß sich zusammen, sammelte sich, er wollte wohl auch vor der heute widerspenstigen Maria glänzen. Er kam in Schwung. Es ging ihm darum, einen unbedeutenden wirtschaftlichen Streik der Pariser Transportarbeiter seinen deutschen Lesern so darzustellen, daß die, deren Lebensstandard sich von Monat zu Monat verschlechterte, den Eindruck bekommen mußten, in dem demokratischen Frankreich gehe alles drunter und drüber, während in dem autoritären Deutschland die Dinge ihren stillen, geregelten, immer glücklicheren Lauf nähmen. In solchen stilistischen Arrangements war Wiesener Meister. Er blieb ganz nah an der Wahrheit; trotzdem sah in seinen Artikeln die Welt so aus, wie Berlin sie wünschte. Auch diesmal erlaubte er sich nur leise Verbiegungen, Untertöne, kleine Lichter, und doch kam alles so heraus, daß jedem Patrioten, wenn er den Kontrast zwischen den herrlichen Zeiten im Reich und der elenden Lage des Erbfeinds bedachte, das Herz höher schlagen mußte.
Gegen Ende des Diktats war Wiesener in großer Form. Erging auf und ab, langsam, gespannten, energischen Gesichtes, der schwere, schwarze Schlafrock schleifte majestätisch um ihn und hinter ihm über den Teppich. Er brauchte sich kaum je zu korrigieren, das kleine Stimmungsbild wurde eine stilistische Kostbarkeit. »Sind Sie zufrieden?« fragte er, ein wenig eitel, Maria, die sich an die Maschine gesetzt hatte, um das Stenogramm zu übertragen. Und da sie nicht antwortete, attestierte er sich selber: »Es steht viel Tatsächliches darin, und das Ganze hat das richtige Licht.« Sie saß da, die Hände schon erhoben zum Schreiben. Sie hatte sich lange vor ihm zu den Ideen der Nazi bekannt, sich mit ihrem ganzen jungen Temperament in die Bewegung hineinwerfend, ihre Begeisterung hatte ihm dazu verholfen, Widerstände seiner Logik zu besiegen und seinesteils den inneren Weg zu den Nazi zu finden. Inzwischen aber hatte sich ihr Enthusiasmus verflüchtigt, während er jetzt fest und stabil inmitten seiner raffiniert gezimmerten nationalen Weltanschauung saß. »Sie sind mit meiner Auffassung des
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