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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Streiks nicht einverstanden?« hänselte er Maria, die beharrlich schwieg. »Es ist schade um Sie«, sagte sie. »Das finden manche«, lächelte zynisch selbstbewußt Wiesener. »Jetzt nicht mehr viele«, meinte Maria.
    Wiesener ging nah an sie heran und beugte sich zu ihr hinunter, so daß sie ihn anschauen mußte. »Sie sind heute sehr frech, Maria«, sagte er. »Weil ich finde, daß es schade um Sie ist?« fragte sie zurück, wandte sich ab und begann, aus ihrem Stenogramm zu tippen. Wiesener saß in seinem bequemen Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, der prunkhafte Schlafrock fiel schwarz und weit an ihm herunter. Ein bißchen spöttisch schaute er zu, wie die Finger ihrer großen, blaßbraunen Hände die Tasten bearbeiteten.
    Sie sah mit ihren blauen Augen unter dem schwarzen Haar hübsch aus und nach etwas Besonderem. Sie mochte dreißig sein; ja, es sind jetzt zehn Jahre, daß sie bei ihm war. Jetzt also ist sie zornig und verachtet ihn, und sie zeigt ihm das deutlich. Er pfeift auf Würde, aber eigentlich bleibt es docheine Frechheit. Sowie man den leisesten Mißerfolg hat, gleich werden die Frauen tückisch und begehren auf.
    Aber was soll das? Hat er denn einen Mißerfolg?
    Gegen seinen Willen zieht es seinen Blick hinüber zu den Zeitungen, die den Schreibtisch überdecken. Er weiß Bescheid. Es ist Trautweins Artikel, der Maria störrisch macht.
    Er sollte, aber er kann sich nicht beherrschen. »Haben Sie den Artikel Trautweins gelesen?« fragt er. In zehn Jahren lernt man einen Menschen kennen. Er weiß doch, daß sie den Aufsatz gelesen hat, genausogut wie sie weiß, daß es das schlichte, gute Pathos dieses Aufsatzes ist, das ihn heute noch zynischer macht als sonst. Wozu also fragt er?
    »Natürlich habe ich den Artikel gelesen«, erwidert sie denn auch, ohne ihr Tippen zu unterbrechen. Ihre Antwort, ihr Verhalten bestätigen ihm seine Niederlage. »Sie sind schlechter Laune, Maria«, konstatiert er nochmals, und: »Ist es wegen des Artikels?« fragt er, ein etwas erkünsteltes Lächeln um den langen Mund, mit der Quaste des Schlafrocks spielend. Doch Maria antwortet nicht mehr, sie tippt schweigend weiter. »Es steht Ihnen gut, Maria«, zieht er sie auf, »wenn Sie rebellisch sind. Ich glaube, deshalb entrüsten Sie sich so gern über mich.«
    Er hat in den zehn Jahren fast täglichen Beisammenseins keine Liebschaft mit Maria angefangen. Das ist merkwürdig und eigentlich schade. Aber er ist stolz auf seine Selbstbeherrschung. Es tut nicht gut, mit seiner Sekretärin erotische Beziehungen zu unterhalten. »Willfähriger Frauen gibt’s genug«, zitiert er in seinem Innern Shakespeare. Brauchbare Sekretärinnen wenige.
    Diese »P. N.«. Komisch, daß man sie nicht los wird. Erst Spitzi, jetzt Maria. Blöd, lächerlich. Der Artikel dieses Trautwein. Es ist, wie wenn einen unversehens ein fremder Hund ankläfft, einem nachläuft, nicht mehr von einem abläßt. Der unmutige Wiesener häuft die Vergleiche. Nein, nein, nein. Er denkt nicht daran, gegen die Burschen vorzugehen, er gibt sich nicht mit ihnen ab, ihr Geschrei rührt ihm nicht dieHaut, Maria tut ihm unrecht, Maria sieht ihn falsch. Wenn er Spitzi den Floh ins Ohr gesetzt hat, so beweist das gar nichts. Er hat es fahrlässig getan, ohne Absicht. Und es wird auch keine Folgen haben. Die Rue de Lille wird nicht gegen die Leute vorgehen. Spitzi ist zu lässig.
    Erich Wiesener ging hinüber an seinen großen Schreibtisch, nahm die »Nachrichten« in die Hand, faltete sie sorgsam, legte sie behutsam, fast zärtlich, zurück auf den Tisch. Heimlich freute er sich, daß er, gegen seinen Willen, Spitzi den Floh ins Ohr gesetzt, und ohne daß er es wußte, vertieften sich ihm die Rillen jener Notiz, die er während des Gesprächs mit Gehrke in seiner Seele gemacht hatte: Vielleicht, eines Tages, werde ich doch darüber nachdenken, die »P. N.« zu erledigen.
    Maria hatte ihr Stenogramm zu Ende übertragen. Wiesener, jetzt erheblich besserer Laune, meinte freundschaftlich: »Ich denke, wir könnten versuchen, heute wieder einmal am ›Beaumarchais‹ zu arbeiten.«
    Er hatte viele Bücher projektiert und viele zu schreiben begonnen; allein so blendend seine Entwürfe waren, die Ausführung langweilte ihn bald, und er ließ das Angefangene liegen. Er war ein zu guter Kenner, um sich mit schludriger Arbeit zu begnügen, und zu gewissenhafter fehlt ihm die Ausdauer. Die Biographie des Beaumarchais war von den vielen Werken, die er in Angriff genommen,

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