Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Journalisten Benjamin. Man müsse, meinte er, alles tun, um einander trotz solcher Vorkommnisse zu verstehen.
Wiesener, da sein Sohn sich diesmal so verständig und konziliant gab, leuchtete sichtlich auf. »Das unterschreibe ich mit beiden Händen«, ereiferte er sich. »Es ist klar: zwischen einem französischen und einem deutschen Nationalisten ist mehr Gemeinsames als, sagen wir, zwischen einem französischen Nationalisten und einem französischen Marxisten. Die Gemeinschaft besteht darin, daß wir, der französische und der deutsche Nationalist, das Jahr 1789 und seine Folgen ablehnen. Wir anerkennen nicht die égalité, die Gleichheit der Menschen von Geburt an, wir sehen in diesem Grundsatz einen Grundirrtum. Wir lehnen ihn ab. Wir lehnen die Französische Revolution ab. Wir erstreben eine Ordnung, welche die naturgegebenen Unterschiede zwischen den Menschen erkennt und praktische Folgen daraus zieht. Wir wollen die sozialen und politischen Fehler wiedergutmachen, welche das neunzehnte Jahrhundert, verführt durch 1789, begangen hat. Wir wollen anknüpfen an die gute Tradition des achtzehnten. Ich und du, mein Junge, wir sind erfreulicherweise achtzehntes Jahrhundert.«
Das waren Ideen, die Raoul gern aufgriff. Von seinem hübschen, länglichen Jungensgesicht schwand der ironische Zug, die grüngrauen Augen schauten nicht ohne Wohlgefallen auf den Vater. »Gib mir noch etwas Wein«, verlangte er huldreich, auf deutsch; er wußte, wie sehr sein Vater es schätzte, wenn er deutsch sprach und wenn er ihn gar duzte, und jetzt hielt er es für an der Zeit, großzügig zu sein. Denn jetzt wollte er von seinem Projekt reden und sich dafür die Hilfe des Alten sichern.
»Weißt du, Papa«, begann er vertraulich, immer deutsch sprechend, der leise Akzent unterstrich nur, wie sicher er die fremde Sprache beherrschte, »was du sagst, bringt mich auf eine Idee. Wie wäre es, wenn ich einmal versuchte, ob man nicht ein Treffen veranstalten könnte zwischen unserm Jugendclub Jeanne d’Arc und einem von euren Jugendverbänden? Ich verspreche mir davon allerhand. Ich glaube, wennman sich überhaupt verständigen kann – und das muß möglich sein, der Meinung bist du ja auch –, dann kriegen es am ehesten wir Jungen zuwege. Und außerdem«, setzte er gewollt frivol hinzu, »verspreche ich mir persönlich Spaß davon.«
Das Vorhaben Raouls kam Wiesener ungelegen. Sicher rechnete Raoul damit, daß man, wenn dieses Jugendtreffen zustande kam, ihn zum Führer der französischen Delegation machen werde, und wahrscheinlich wünschte er, daß man von deutscher Seite seine Kandidatur befürworte. Wie leicht aber konnten dann, wenn Raouls Name in solchem Zusammenhang genannt wurde, Wieseners Neider und Rivalen wegen seiner Beziehungen zu Lea stänkern. Freilich war von den vier »Großelternteilen« Leas lediglich einer »nichtarisch«, und seine Beziehungen zu ihr sind also nicht eigentlich »rassenschänderisch« im Sinn nationalsozialistischer Auffassung: aber von einem Mann, der in der Partei eine solche Stellung einnimmt wie er, erwartet man in dieser Hinsicht hundertprozentige Integrität. Ihm konnte man seine Beziehungen zu Lea bös ankreiden. Lea selber hat von diesen Auswüchsen des deutschen Rassenhochmuts keine Ahnung. Sie nimmt – das tut man fast überall im Ausland – den deutschen Antisemitismus für ein persönliches Steckenpferd des Führers und einiger Fanatiker, für eine lästige, eher komische Anwandlung. Wie finster und bedrohlich diese »Anwandlung« sich in der deutschen Realität auswirkt, davon haben sie hier in Paris trotz aller Zeitungsberichte noch immer keinen Begriff. Er selber hat Aufsätze darüber geschrieben, aus was für einem tiefen Naturgefühl, aus was für einem sicheren biologischen Instinkt heraus die deutschen Rassentheorien entstanden seien. Aber das war doch mehr theoretisch gemeint, abstrakt, und wenn er daran denkt, daß sein Privatleben vor einem Parteigericht durchgehechelt werden könnte, prickelt ihm die Haut vor Scham. Er stellt sich vor, was Lea für ein Gesicht machen wird, wenn sie so was hört, und er verspürt schier körperliches Unbehagen. Nein, Raoul und seine Jugendbewegung, das paßt ihm jetzt gar nicht.
Er hütete sich indes, dem Jungen von seinen Bedenken zu reden. So ein Treffen, meinte er, sei ein feines Projekt, und er rühmte Raouls gesunden Ehrgeiz. Er selber werde die Sache im Aug behalten. Jetzt freilich sei die Zeit nicht günstig. Eben erst habe der
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