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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Besuch der französischen Frontkämpfer in Berlin stattgefunden, es habe einige Reibungen und Mißverständnisse gegeben, und man tue gut, für die Vorbereitung eines ähnlichen Treffens einen günstigeren Augenblick abzuwarten. Im übrigen halte er die Sache, wenn sie intelligent angefaßt und durchgeführt werde, für vielversprechend. Er redete lang und mit Wärme.
    Raoul merkte gut, daß die vielen herzlichen Worte nichts waren als dilatorisches Geschwätz. Er fühlte sich gedemütigt. Es ist das erstemal, daß ich dem Alten mit einem ernsthaften Anliegen komme, dachte er haßvoll, und dann erwidert er mir so. Was er wohl für Gründe hat? Er gönnt mir nichts. Aber wenn er glaubt, daß ich jetzt aufgebe, dann hat er sich geschnitten. Doch ebenso diplomatisch wie der Papa, ließ er von seinen wahren Gefühlen nichts merken. »Mit dir kann man reden«, anerkannte er und wechselte das Thema.
    Mama, erzählte er, sei noch immer dagegen, daß er sich einen Frack machen lasse. »Achtzehn Jahre und zweihundertzwölf Tage«, beklagte er sich, »und noch keinen Frack. Manchmal, abends, wenn ich ausgehen will, bin ich ernstlich behindert. Wenn es Mama nach ginge, muß ich mit dem Frack warten, bis sie mich in die Akademie berufen.«
    Wiesener freute sich, daß Raoul wegen des Jugendtreffens nicht weiter in ihn drängte. War das nur gute Erziehung? Oder war das Projekt von Anfang an so vag gewesen, daß Raoul es beim ersten Widerstand fallenließ? Auf keinen Fall sollte der Junge verstimmt von ihm gehen. »Wie wäre es«, schlug er vor, »wenn wir Mama überraschten? Du läßt dir einfach auf meine Rechnung bei Knize einen Frack bauen.«
    Der alte Gauner, dachte Raoul. Wenn es um meine Karriere geht, sagt er glatt nein, und dann will er mich mit einem Frack abspeisen. Aber da irrt er sich. Ich nehme den Frack,aber bei der Jeanne d’Arc muß er mir doch heran. Doch sein Gesicht, während er dies dachte, strahlte, und: »Wollen Sie mir den Frack wirklich stiften?« freute er sich. »Das ist schick von Ihnen. Und um ihn einzuweihen, gehen wir zusammen aus.«
    Das war als eine Gunst gemeint, und so faßte Wiesener es auch auf. Wenn ein Rest von Mißvergnügen in Raoul geblieben sein sollte, so hatte er ihn jetzt zerstreut, und er freute sich, so leichten Kaufes davongekommen zu sein. Raoul blieb auch weiter liebenswürdig. Unter munteren, verbindlichen, leicht ironischen Reden trank er seinen Portwein aus, steckte sich eine letzte Zigarette an, verabschiedete sich, und Vater und Sohn trennten sich im besten Einvernehmen.
    Allein, setzte sich Wiesener an den Schreibtisch. Aber er las nicht und schrieb nicht. Müßig, gedankenlos, schaute er über die Stadt Paris, die silbriggrau zu seinen Füßen lag. Er fühlte sich ausgeleert wie nach einer körperlichen Anstrengung; jede Begegnung mit Raoul nahm ihn so her.
    Diese war passabel abgelaufen. Als ihm Raoul mit seiner Idee von dem Jugendtreffen kam, war ihm freilich der Schreck in die Glieder gefahren. Darum also hatte er ihn besucht. Aber er, Wiesener, hat sich geschickt aus der Affäre gezogen.
    Ein wenig mühsam erhebt er sich. Sehr selten nur spürt er, daß er kein ganz junger Mann mehr ist, heute spürt er’s. Er geht hinüber in die Bibliothek, steht vor dem Porträt Leas. Lea schaut aus grünblauen Augen unter dunkelbraunem Haar auf ihn herunter, gelassen, mit leiser Ironie; die große, fleischlose Nase mit dem breiten Nasenbein machen ihr mattfarbiges Gesicht gescheit, eigenwillig.
    Ein klein bißchen maulen wird Lea, wenn der Junge auf einmal im Frack vor ihr steht. Ein derart erwachsener Sohn wird ihr nicht willkommen sein. Aber sie wird diesen ihren wirklichen Grund kaum vor sich selber wahrhaben wollen, und es wird Wiesener nicht schwerfallen, sie zu besänftigen. Auf alle Fälle ist der Junge ohne Groll von ihm gegangen, und der Frack hat sich als Ölzweig bewährt.
    Im ganzen mag ihn Raoul und hat Sinn für ihn. Er hat ein paar anerkennende Worte für ihn gehabt, und aus dem Munde Raouls bedeutet ein bißchen herablassende Anerkennung soviel wie aus dem Munde anderer grenzenlose Bewunderung. Es war nicht nur die Sache mit der Jeanne d’Arc, um derentwillen Raoul kam, zehn Prozent Kindesliebe waren auch dabei.
    Ein paar Stiche allerdings hat der Junge ihm versetzt, die er gespürt hat. »Was habt ihr da wieder angestellt. Der Artikel eines gewissen Trautwein.« Er hat den Ton genau im Ohr, mit dem Raoul diese Worte gesprochen, seine tiefe, mokante Stimme. Der

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