Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
»Wie finden Sie das, was ich da diktiert habe?« fragte er unsicher Erna Redlich. Die Sekretärin hob ihr offenes, kindliches Gesicht zu ihm empor. »Es ist mir aus dem Herzen gesprochen«, meinte sie. »Aber«, setzte sie etwas zögernd hinzu, »Sie haben schon Besseres geschrieben, Herr Trautwein.« – »Da haben Sie recht«, sagte Trautwein.
Er wog das Manuskript in der Hand, voll tiefen Mißmuts. Der Artikel mußte in Satz, er mußte sogleich in Satz. Wenn er noch ändern wollte, dann mußte er das Ganze direkt in die Setzmaschine diktieren. Das war ein heikles Unterfangen, das lange Übung erforderte; Trautwein hatte diese Übung nicht, er war vielmehr ein gründlicher, langsamer Arbeiter. Aber es blieb ihm nichts übrig, er mußte retten, was zu retten war.
Er ging in die Druckerei. Auf großen, mit Blech bezogenen Tischen lag der fertige Satz, lange Spalten mit gegossenen Bleizeilen, daneben die Kästen mit den Überschriften in verschiedenen Größen. Er sah und hörte die ungeheure Rotationsmaschine, er roch den strengen Geruch des Raumes, spürte die fremde Welt, abstoßend nüchtern und doch voll romantischer Erhebung. Beklommen dachte er, daß, was er jetzt diktieren werde, unwiderruflich in der Welt sei, und daß es morgen viele Tausende lesen würden. Er mußte, mußte die rechten, schlagenden Worte finden, die Anmaßung der Nazi zurückzuweisen.
Mit scharfem Ruck machte er sich frei von der Beklommenheit, die ihn hielt, kurbelte seine ganze Logik an, rief seinen bayrisch derben Witz zu Hilfe. Er stand neben dem Setzer, einem alten, ruhigen Menschen. Inmitten des Lärms diktierte er. Er sprach hinunter zu dem Mann, der gespannt dasaß, die Hände hoch gehalten, die Augen auf die Klaviatur der Maschine gerichtet, dabei den Kopf etwas schräg geneigt, bemüht lauschend auf die krähende Stimme, die scharf, gesammelt, deutlich den Lärm ringsum übertönte.
Jetzt endlich hatte Trautwein es geschafft, jetzt hatte er die Sammlung, die er brauchte. Noch war die Vision da, das Bild der Leiche. Ja, vielleicht kämpfte man um eine Leiche: aber diese Idee behinderte ihn jetzt nicht mehr, im Gegenteil, sie stachelte ihn, machte seine Sätze schärfer, wirksamer. Er diktierte kalt, logisch und doch mit Wut. Er verbesserte sich nur selten. Die Maschine ratterte, klingelte, ringsum war Lärm, übler, strenger Geruch. Trautwein hörte nichts, sah nichts. Er diktierte, er sprach, und seine Worte verwandelten sich in Metall.
Er war am Ende. Während man rasch einen Abzug für die Korrektur herstellte, saß er auf einem Hocker, atmend, erschöpft. Man brachte ihm den Abzug, er überflog ihn. Es nützte nichts, er mußte sich nochmals zusammenraffen, kürzen, ändern. Der Faktor, der neben ihm stand, nahm die Zeilen, die er verwarf, aus dem Satz, schmetternd fielen sie auf einen Bleihaufen, um wieder Blei zu werden.
Jetzt war er endgültig fertig. Mehr, Besseres hatte er nicht zu geben. Etwas wackeligen Schrittes ging er zurück in die Redaktion und erledigte, ohne Schwung, was noch zu tun war. Das war nicht wenig. Es war spät, als er das Haus verließ.
Im Lift traf er Erna Redlich, die Sekretärin. »Ich hatte geglaubt«, sagte sie, »Sie würden mir vielleicht Ihren Artikel neu diktieren. Ich habe immer darauf gewartet.« Sie kannte seine Arbeitsweise, sie wußte, daß er sich nicht leicht zufriedengab, und er arbeitete mit niemand lieber als mit ihr. »Denken Sie«, sagte er, »ich habe den Artikel gleich in die Setzmaschinediktiert.« – »Ist er was geworden?« erkundigte sie sich gespannt. »Ja«, krähte er stolz, um sogleich zu mildern: »Ich glaube, ja.« – »Das freut mich«, erwiderte sie ehrlich.
Sie verließen den Lift, durchschritten den weiten, kahlen, kalten Hausgang, gingen dem Tor zu, an der riesigen Tafel vorbei, dem »stummen Concierge«, auf dem die Büros verzeichnet standen. Trautwein sah Erna Redlich von der Seite an, ihre zierliche, kleine, sanfte Figur, das Kindergesicht mit den schönen, etwas rührseligen Augen. Ein Haserl, dachte er, ein Hascherl.
Es war sehr spät. Anna wartete vermutlich noch auf ihn. Wenn er bis Redaktionsschluß beschäftigt ist, wartet sie häufig, und heute, da sie die deutsche Antwortnote gelesen haben wird, ist sie bestimmt noch nicht zu Bett gegangen. Vielleicht ist auch Hanns aufgeblieben, um das Ereignis mit ihm zu bereden. Es ist ihm ein bißchen unbehaglich vor dem Zusammentreffen mit Anna und dem Buben. Sicher fassen sie die Unverschämtheit der
Weitere Kostenlose Bücher