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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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vernünftigen Welt geht, daß es eine unpolitische Musik nicht gibt, das verstehen die wenigsten. Soviel muß aber doch jeder hören, daß zum Beispiel die Musik von Johann Strauß leer klingt und die von Offenbach erfüllt, und dabei hat der Strauß keineswegs weniger gekonnt als der Offenbach. Man muß doch einsehen, daß er, Sepp Trautwein, zunächst sein Teil dazu beitragen muß, die Welt vernünftig zu ordnen, so lächerlich minimal dieses Teil sein mag. Darüber aber kommt er nicht zur Musik, es ist ein verfluchter, ewig falscher Zirkel, man könnte verrückt darüber werden. Ist das nicht alles saublöd? Aber es ist nun einmal so. Er redete eifrig auf sie ein, er versuchte vor sich selber, Annas Argumente zu übertäuben. »Verstehen Sie mich?« fragte er dringlich. »Sie müssen mich verstehen«, verlangte er. Sie nickte heftig mitdem hübschen, zarten Kinderkopf, und ihre großen Augen schauten ihn vertrauend an, verständnisvoll.
    Sie saßen nun schon lange da, sie waren die letzten im Lokal, die Stühle standen auf den Tischen, das Gehaben des Kellners war eine einzige Aufforderung, sich endlich fortzuscheren. Sie taten es.
    In den Straßen war ein kleiner, angenehmer Wind. Laue Stöße streichelten einen eher, als daß sie einen behelligten. Die Bäume auf beiden Seiten des Boulevards zeigten im Schein der elektrischen Lampen einen leisen Flaum. Er begleitete sie bis zur Haltestelle des Nacht-Autobus, dann schlug er vor, sie bis zur nächsten Haltestelle zu begleiten, dann überholte sie der Autobus, und er begleitete sie den ganzen, langen Weg zu Fuß. Sie sprachen nicht viel, aber wie sie da Arm in Arm durch die angenehme Nacht gingen, fühlten sie sich einer dem andern sehr nahe.
    Dann standen sie vor dem Tor des Hauses, in welchem Erna wohnte. Sie zögerte, zog den Handschuh aus, er hielt ihre kleine, hübsche Kinderhand, die er so oft hatte tippen sehen, in der seinen. Er hätte sagen können: Jetzt hätte ich Lust auf eine Tasse Tee, darf ich noch hinaufkommen? Sie hätte bestimmt nicht nein gesagt; wahrscheinlich sogar spielte sie mit der Verlockung, ihn einzuladen. Er hielt ihre Hand in der seinen, sie sahen einander an. Ein bißchen schäbig und herunten waren sie beide, außen und innen. Aber sie fühlten sich einander sehr nahe, es tat wohl, sich einer am andern zu wärmen, sie gefielen einander: warum also nicht? So verging eine Sekunde, noch eine, eine dritte. Er hielt ihre Hand, sie sagten nichts. Jetzt mußte er sprechen oder sie; wenn nicht, war alles vorbei. Sie sprachen nicht, es war vorbei. Er schluckte ein bißchen, sie sagten: »Auf Wiedersehen.« Dann ging sie in den Hausflur, die Tür fiel langsam zu, ohne viel Geräusch, er stand noch eine kleine Weile da und dachte: Ein erfreuliches Mädchen. Dann ging er.
    Er war kein Philister, fühlte sich noch keineswegs alt und hatte nie etwas dabei gefunden, mit einer Frau zu schlafen,wenn sie ihm gefiel. Trotzdem, wie er jetzt die Straße wieder hinaufging, war er es zufrieden, daß er sie nicht in ihr Zimmer begleitet hatte. Gerade weil zwischen ihnen mehr gewesen war als körperliche Begier, war ihm, als hätte er, wenn er mit ihr geschlafen hätte, Anna betrogen.
    Er hatte einen bewegten Tag hinter sich, das Diktat in die Setzmaschine hatte Gehirnschmalz verlangt, es war tief in der Nacht, er hatte einiges getrunken, eigentlich hätte er furchtbar müde sein müssen. Er kam zu einer Taxi-Haltestelle, einen Augenblick dachte er daran, zu fahren. Dann marschierte er doch zu Fuß weiter. Es war noch ein langer Weg bis zum Hotel Aranjuez, eine gute Stunde noch. Ein Bistro, das gerade im Begriff war, zu schließen, lockte ihn; er trat ein und ließ sich noch ein Glas Bier geben. Dann machte er sich daran, durch den nächtlichen Frühling der Stadt Paris nach Haus zu traben.
    Das Gespräch mit Erna Redlich hatte ihn aufgepulvert. Er fühlte sich jung. So war er manchmal durch die Straßen Münchens oder Berlins nach Haus gegangen, angeregt, von einer heftigen Debatte in einer Weinstube oder von einer Frau kommend. Eigentlich war ein solches Hernach immer das Schönste gewesen. Man bedachte, was gesprochen oder was sonst geschehen war, man schmeckte es nach. Die kleinen Schlacken fielen weg, die gestört hatten, und was daran gut gewesen war, sank hinunter in die Tiefe des Wesens, man leibte es sich ein, es machte einen besser. Er, Sepp Trautwein, hatte die Gabe, das Gute länger und tiefer zu bewahren als das Schlechte.
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