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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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deutschen Note als Beweis dafür auf, daß die Nazi nicht nachgeben werden, und wenn es ihm auch gelungen ist, solange er in die Setzmaschine diktierte, das fait accompli als Stimulans zu empfinden, jetzt lähmt es ihn wieder, und er hat Angst davor, in die bedauernden Gesichter seiner Frau und seines Sohnes zu schauen. Gewiß, sie werden nicht triumphieren, daß wieder ein Beweis da ist, der ihnen, ihm zuleide, recht zu geben scheint. Sie sind nicht nur eine Familie, sie sind gute Kameraden, und es wird ihnen ehrlich leid tun. Aber gerade dieses behutsame Mitgefühl, das kann er jetzt nicht vertragen. Er hat nach diesem beschäftigten Tag und seinen Erregungen wenig Lust auf sein Zuhause.
    Sie stehen auf der Straße, vor dem großen Tor. »Ich muß laufen«, sagt die kleine Redlich, »um diese Zeit verkehrt der UT 20 nur mehr alle Viertelstunden.« – »Hören Sie«, sagt Sepp Trautwein, »ich hab einen verdammten Hunger. Immer, wenn ich so scharf gearbeitet habe, krieg ich einen Wolfshunger. Wie wäre es? Wollen Sie nicht mitkommen und noch eine Kleinigkeit mit mir essen?« Erna Redlich zögert, aber manmuß keine scharfen Augen haben, um zu sehen, wieviel Freude ihr Trautweins Einladung macht. Er sieht es denn auch und wird dringlicher. »Keine Umstände«, bittet er, »seien Sie ein guter Kamerad und kommen Sie.«
    Sie gehen in ein kleines Restaurant. Trautwein bestellt garniertes Sauerkraut und Bier, er hat wirklich einen Wolfshunger, und es zeigt sich, daß auch Erna Redlich Appetit hat. Sie essen und schwatzen. Sie haben jetzt schon geraume Zeit zusammen gearbeitet, einer kennt den andern, doch immer nur eine einzige Seite, die Arbeit; diesen einen Sektor aus dem Leben und dem Wesen des andern kennt man genau, und von dem ganzen übrigen Kreis weiß man nichts. Jetzt aber, plötzlich, unvermutet, ist eine große Vertrautheit zwischen ihnen. Die Umgebung ist nicht angenehm, ein schmutziger, verschlafener Kellner ist da, schäbige Spiegel, ein paar lärmende Billardspieler, und der zerbrochene Marmortisch mit dem Essen darauf ist viel zu klein. Aber beide fühlen sich warm und zu Hause, und: »Es tut wohl, sich mit einem vernünftigen Menschen in Ruhe aussprechen zu können«, sagt Trautwein.
    Erna Redlich, freudig überrötet, ißt hastig, um nicht zu zeigen, wie tief sie Sepps Vertrautheit anrührt. Sie beginnt zu erzählen, essend. Gemessen an dem Los anderer, geht es ihr gut, sehr gut. Aber vor drei Jahren noch hätte sie auch im Traum nicht gedacht, daß es ihr jemals so schlecht gehen könnte. Das Gehalt, Trautwein weiß es ja, man kann zur Not damit auskommen, aber man muß verdammt haushalten, abgelaufene Absätze werden zu einer Tragödie. Dazu muß sie ihrer Mutter noch Geld schicken. Ja, die ist in Deutschland geblieben. Papa Redlich war Großaktionär der Lifawerke, man war recht vermögend und angesehen, seinerzeit. Dann, nachdem Papa im Krieg gefallen war, ging es bergab, Verwandte haben bei der Erbregelung einen großen Schnitt gemacht. Später dann hat ihr Bruder Paul den Laden geschmissen. Er hat sich großartig entwickelt, mit knapp dreißig war er Syndikus der IHE. Jetzt ist es natürlich aus mit der Karriere,er versucht, in London hochzukommen. Vorläufig aber muß sie allein den Zuschuß für die Mutter aufbringen. Sie ist nicht faul, und die Arbeit an den »P. N.« interessiert sie; aber Trautwein weiß ja, was Gingold von seinen Angestellten verlangt. Und wenn das Ganze auffliegt?
    Trautwein hört interessiert zu. Haserl, dachte er, was für ein nettes, sanftes Haserl. Laut sagte er: »Hascherl, armes Hascherl.« Es klang herzlich, tröstlich, mitfühlend. Ja, was ihn so oft anödete, wenn es aus Annas Munde kam, diesmal, nun es ihm aus einem andern Mund entgegentönte, schien es ihm interessant. Hier wollte man nichts von ihm, hier sollte er nicht etwas so machen oder so. Es wurde einfach konstatiert, daß es so war, und man war nicht schrecklich tüchtig und verlangte auch keine Tüchtigkeit von andern. Trautwein fühlte sich wohl, er bestellte ein drittes Glas Bier. Er pflichtete Erna bei, widersprach, war teilnahmsvoll, gab überflüssige Ratschläge.
    Dann erzählte er von seinen eigenen Nöten. Seltsamerweise konnte er sich vor diesem kleinen Mädchen leichter aufschließen als vor Anna oder selbst vor Tschernigg. Musik, erklärte er ihr, Musik, er möchte Musik machen, er brennt darauf, Musik zu machen, aber das geht nur in einer vernünftigen Welt. Und daß das nur in einer

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