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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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davon zu überzeugen, daß Harry einfach die Phantasie durchgegangen war.
    Aber er wußte, es war zu spät. Nun diese Vorstellung einmal in Worte gefaßt ist, läßt sie ihn nicht mehr los. Was Harry da gesagt hatte, hackte fest, das Würgen, der Alpdruck wird immer wiederkommen.
    Weder Tschernigg noch Harry Meisel bestritten seine Argumente, sie ließen ihn einfach reden, und als er fertig war, sprachen sie von anderem. Trautwein war froh, daß man von dem quälenden Thema abließ. Doch sowie er sich von den beiden getrennt hatte, überfiel ihn von neuem die Vision, die Harrys Worte in ihm geweckt hatten, und der Gedanke, der Mann, um den er kämpfte, könnte nicht mehr unter den Lebenden sein, ließ ihn nicht mehr los.
    Überhaupt stellten diese ersten Aprilwochen harte Anforderungen an Trautweins geduldigen Optimismus.
    Berlin beeilte sich keineswegs, die Schweizer Note zu erwidern. Am 2. April war diese Note überreicht worden. Man hatte erwartet, längstens am 7. oder 8. werde die Antwort eintreffen. Doch die Woche verging, die nächste halbe Woche verging, keine Antwort kam. Es sah aus, als würden Hanns, Tschernigg, Meisel, die andern Zweifler recht behalten, und es gelang Trautwein nicht mehr, das Bild, das Harrys Reden in ihm hatten hochsteigen lassen, wieder in den Schatten zu verdrängen. Immer häufiger saß an seinem Schreibtisch in der Redaktion jene geisterhafte Erscheinung Friedrich Benjamins, immer häufiger quälte ihn der Gedanke: vielleicht kämpfen wir um einen Toten.
    Endlich, es war der 15. April geworden, traf die Berliner Antwortnote ein. Eine klare Antwort: das Reich gab Friedrich Benjamin nicht frei. Eine höchst freche Antwort: das Reich bemühte sich nicht erst lange, das Beweismaterial der Schweiz zu widerlegen. Das Reich erklärte kaltschnäuzig, dieeigenen Untersuchungen hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß amtliche Stellen an der Entführung Benjamins beteiligt gewesen seien.
    Trautwein, während er gierig den Text der deutschen Antwortnote überlas, sagte sich, niemand habe erwarten können, das Reich werde einfach zu dem Verlangen der Schweiz ja sagen und sein Unrecht zugestehen. Auch sagte er sich, die Schweiz habe den Fall der deutschen Ablehnung bestimmt vorhergesehen und werde folglich das Schiedsgericht anrufen, dessen Entscheidung für einen solchen Streitfall von beiden Seiten vertraglich als bindend anerkannt war. Während er sich mit Argumenten dieser Art zu beruhigen suchte, schloß er aber gleichzeitig aus dem dummdreisten Zynismus der deutschen Antwort, die Nazi kümmerten sich eben einen Dreck um die Rechtsansprüche der kleinen Schweiz und würden ihr Opfer unter keinen Umständen freigeben. Er spürte in den Tiefen seiner Seele eine schwere Müdigkeit, die Mutlosigkeit der andern hatte ihn angesteckt. Ich bin keineswegs entmutigt, wiederholte er sich immerzu, aber dabei schauten ihn die Augen Friedrich Benjamins an, weit offen, starrend, gebrochen, aus der traurigen Clownsmaske.
    Er schüttelte die übeln Gedanken ab, rief Erna Redlich, machte sich daran, sogleich einen Kommentar zu der deutschen Antwortnote zu diktieren. Erna Redlich saß an der Schreibmaschine, der große Raum war lärmend wie immer, Trautwein ging auf und ab und formte seine Sätze. Die Berliner Note war trotz ihrer schmissigen, frechen äußeren Aufmachung schwammig, lappig. Unmöglich konnte das Dritte Reich gehofft haben, irgendein vernünftiger Mensch werde die Albernheiten glauben, die in der Note vorgebracht waren. Sie zu widerlegen, sich über sie lustig zu machen, darzutun, wie hoffnungslos verloren die Sache Berlins war, da nur derartige lächerliche Dreistigkeiten für sie angeführt werden konnten, das alles war nicht schwer. »Goliath verhöhnt David«, setzte Trautwein als Titel seines Aufsatzes hin, und ein solcher Aufsatz mußte ihm sehr liegen. Alles in der Welt, wasden Nazi opponierte, die deutsche Emigration im besonderen, war in dieser Note verhöhnt. Die »Nachrichten« waren die Stimme der Emigration, und er, Sepp, war in diesem Fall die Stimme der »Nachrichten«. An ihm war es, die Unverschämtheit der Nazi zurückzuweisen.
    Allein der Aufsatz geriet ihm nicht. Er nahm sich zusammen. Sonst in solchen Fällen fand er mühelos das Treffende. Heute wollte nichts kommen, nichts gelang. Müdigkeit lähmte ihn, tiefe, innere Hoffnungslosigkeit hinderte ihn, mit ganzer Kraft zu antworten. Noch während er diktierte, merkte er, wie schwach und vag seine Worte waren.

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