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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schlechtgelüfteten Körpers und seiner Kleider auf Trautwein ein. »Hören Sie, Professor«, sagte er vertraulich. »Als Sie diesenblöden Kampf unternahmen, gegen meinen Rat, haben Sie es bestimmt aus ethischen Gründen getan, aus Zorn und Mitleid, ein reiner Tor. Aber inzwischen müssen Sie doch eingesehen haben, daß dabei nichts herauskommt. Wissen Sie, warum Sie trotzdem weitermachen? Weil Sie ein Dickschädel sind, weil Sie ein bajuwarischer Raufbold sind. Es ist die pure, schiere Rauflust. Aus Sport machen Sie es, das ist der Grund.« Und da Trautwein statt einer Antwort den andern nur aus seinen tiefliegenden Augen ansah, mit einem linkischen, etwas herausfordernden Lächeln, fügte Tschernigg, gegen seine Gewohnheit dringlich, hinzu: »Sie sagen selber, daß Sie sich mehr gar nicht wünschen konnten als die Schweizer Note und daß sich alles übrige automatisch entwickeln wird. Wozu also mischen Sie sich dann weiter ein? Gehen Sie raus aus der Arena. Sie haben da nichts mehr zu suchen. Lassen Sie den Stier und die berufsmäßigen Toreros gefälligst allein. Kehren Sie zurück zu Ihren ›Persern‹.«
    Harry aber strich sich über das dichte Haar. Die weit auseinanderstehenden, sonst so fliegenden Augen in dem blassen Jünglingsgesicht ungewohnt starr, sagte er träumerisch vor sich hin: »Grotesk wäre es, wenn das Ganze ein Scheingefecht wäre. Vielleicht ist alles längst und endgültig entschieden. Die Möglichkeit liegt nahe. Oder halten Sie es für ausgeschlossen, daß Ihre Nazi bereits ein, wie sagt man doch, ein fait accompli hergestellt haben?«
    Harry sprach verbindlich, unbeteiligt, ohne die Stimme zu heben. Trautwein schaute ihn an, der menschenvolle Raum versank ihm, er hörte nicht den Lärm ringsum, er roch nicht den Dunst der Speisen und der vielen Menschen, er sah nur diesen schönen, jungen Mund, der sich öffnete und schloß, er hörte die höflichen, traurigen, grausam klaren Worte.
    Ein fait accompli. Ja, die Möglichkeit »lag nahe«, sie war gar nicht »ausgeschlossen«. Ihm selber war diese Vorstellung schon aufgetaucht, mehrmals, aber sie war zu furchtbar, er hat sie nicht hochkommen lassen. Ein fait accompli. Hübsch drückt der Junge sich aus, indirekt und also wirksamer alsdirekt. Da kann man nichts machen, er ist halt der geborene Schriftsteller. Übrigens ein alter Schnee, daß das Indirekte stärker wirkt als das Direkte. Ein fait accompli. Ja, ja, ja. Vielleicht hat das Reich die Sache schon längst und endgültig entschieden, entschieden durch das Entscheidendste, was es auf dieser Welt gibt, durch den Tod. Vielleicht ist dieser kleine Friedrich Benjamin längst tot, verscharrt irgendwo in einem Wald, und einmal, in zwei Wochen oder in zwei Monaten oder auch erst in zwei Jahren, wird man plötzlich hören, er sei »auf der Flucht erschossen« worden oder, nach einer Vernehmung durch die Geheime Staatspolizei, »verschieden an einem Herzschlag« oder auch, er habe sich selbst getötet, habe sich, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, »selbst gerichtet«. Es gab lange Listen solcher Toten, sorgfältig geführte, ständig wachsende, Sepp Trautwein hat sie oft gesehen. Viele Namen guter Freunde von ihm standen darauf, der Abgeordnete Maruhn, der Schriftsteller Erich Mühsam, der Philosoph Theodor Lessing. Es war eine endlose Liste, gar nicht gezählt die Toten vom 30. Juni, und er konnte sich gut vorstellen, daß dieser langen Liste ein neuer Name zugefügt würde, ein paar Buchstaben unter zehntausend anderen, die Buchstaben friedrichbenjamin .
    Panik ergriff ihn. Daß das jetzt in Worte gefaßt war, was ihn so lange vag und wortlos geängstigt hatte, würgte ihn, die Speisen drängten herauf, er wurde blaß, er nahm alle Kraft zusammen, seine ungeheure Erregung nicht zu zeigen. Nein, nein, er will das nicht denken, man darf diese Vorstellung nicht in sich hochkommen lassen, sie darf nicht für einen existieren. Das fait accompli darf nicht sein, er will nicht wahrhaben, daß es sein kann.
    Er bäumte sich also hoch und widersprach heftig. Häufte Argumente. Nein, wenn die Nazi auch dumm waren, so dumm waren sie doch nicht. Wenn sie den Mann totgeschlagen hätten, dann müßte das früher oder später herauskommen, und der Sturm, der dann notwendig losbrechen wird, steht in keinem Verhältnis zur Wichtigkeit Friedrich Benjamins.Trautwein zappelte sich ab, ereiferte sich, krächzte und gestikulierte, so daß man von den umliegenden Tischen erstaunt hersah. Es gelang ihm, sich selber

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