Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
ziemlich stark nach Bier, und dieser Geruch war ihm auf einmal unangenehm. »Eigentlich könnte ich mir noch einen Kaffee machen«, sagte er; schon während er es sagte, bereute er’s. »Aber weck den Jungen nicht auf«, mahnte sie, »bring die Maschine hierher.« Er bemühte sich, keinen Lärm zu machen, es gelang ihm leidlich.
»Hast du die Berliner Antwortnote gelesen?« fragte er, mit der Zubereitung des Kaffees beschäftigt. Anna hatte sie gelesen, auch hatte man bei Doktor Wohlgemuth davon gesprochen. Sie sagte sich, Sepp, sanguinisch, wie er sei, müsse, als er diese frech ablehnende Note las, aus vielen Himmeln gefallen sein. Sicher war es ein schwerer Schlag für ihn, sicher hat er alle Contenance verloren, und das war wohl auch der Grund, aus dem er so spät und etwas angetrunken nach Hause kam.
Sie hatte sich, nachdem die schlimme deutsche Nachricht eingetroffen war, vorgenommen, besonders nett zu ihm zu sein. Es war eine Enttäuschung gewesen, wie die Stunden vergingen und er fortblieb. Jetzt war er nach Hause gekommen, so, und es ging auf fünf Uhr. Aber man muß ihm heute einiges nachsehen, es war ein böser Tag für ihn, sie muß ihm helfen. »Es ist lediglich ein Manöver«, wiederholt sie also tröstlich irgendwas, was sie gehört hat, »die Sache hinauszuzögern. Die Schweiz wird jetzt zweifellos das Schiedsgericht anrufen. Das meinen alle. Auch die Zeitungen.«
Er aber scheint gar nicht so mitgenommen. »Ich habe den richtigen Kommentar gleich in die Setzmaschine diktiert«, verkündet er stolz. »Es ist ein Kommentar, der sich gewaschen hat, der Artikel ist großartig geworden.« Und erschickt sich an, ins Badezimmer zu gehen, um sich eine Kaffeetasse zu holen. Der ehemals elegante, jetzt sehr abgetragene Schlafrock hängt weit und lang an ihm herunter. Er müßte einen neuen haben, denkt Anna, aber er hat ja das Geld für das Mikroskop vertan. »Weck den Jungen nicht«, mahnt sie noch einmal.
Er hantiert in der Küche herum, dann kommt er zurück, die Kaffeetasse in der Hand. Er setzt sich aufs Bett. Er hat sich gewaschen, die Zähne geputzt, da fühlt man sich gleich auch innerlich sauberer. Jetzt, denkt er, ist er wieder der normale Sepp Trautwein, weder himmelhoch jauchzend noch zu Tode betrübt, sondern halt schlechthin alltäglich oder vielmehr allnächtlich. Er freut sich auf seinen Kaffee, es ist ihm ganz recht, daß Anna aufgewacht ist. Das ist egoistisch von ihm, aber er möchte jetzt jemand haben, mit dem er sprechen kann, und Anna ist eine gute, alte Haut, sie hat ihn nicht gefrotzelt wegen der Berliner Note, das muß man ihr hoch anrechnen. »Mein Artikel ist gut geworden«, erzählt er ihr gemütlich, in seinem Kaffee herumrührend. »Es war ein Experiment, ihn gleich in die Setzmaschine zu diktieren. Aber er ist wirklich ausgezeichnet geworden. Ich bin neugierig, was du dazu sagen wirst.«
Er hob die Tasse zum Mund, trank. »Pfui Teufel«, sagte er und spuckte aus. »Was ist das für ein Gesöff?« Er sprach heftig, er hatte sich so auf den Kaffee gefreut, er war enttäuscht. »Es ist die Milch«, sagte er unmutig, gekränkt. »Sie ist verdorben, sie hat umgeschlagen. Wie kann man einem verdorbene Milch hinstellen. So ein Saustall. Man sieht es ja, sie ist geronnen.« Er war erbittert.
»Vielleicht sprichst du etwas leiser«, sagte Anna, sie sprach gedämpft, doch scharf. »Du brauchst den Jungen nicht auch noch zu wecken.«
Er sah hoch. Vor der Schärfe ihres Tones zerrissen die letzten Reste des glücklichen Nebels, der um ihn gewesen war. Es kam oft vor, daß Anna einen energischen Ton gegen ihn anschlug, doch so leise, scharf und feindselig hatte er sie seitewigen Zeiten nicht mehr sprechen hören. Er sah sie an, verblüfft, betreten. Überlegte. Was ist denn? Sie muß morgen früh zu ihrem verdammten Doktor Wohlgemuth, sie ist überarbeitet, sie hat von früh bis spät zu laufen, sie hat sich ihren Schlaf wohl verdient, er hätte sie nicht stören dürfen. Aber er hat es doch nicht mit Absicht getan. Ist es ein solches Verbrechen, wenn er einmal zu einer ungewöhnlichen Zeit eine Tasse Kaffee haben will? Schließlich hat er in diesen zwei Jahren auch allerhand auf sich genommen und nicht gejammert und geflennt. Lerne leiden, ohne zu klagen. Einen Schmarrn. Hat sich Anna etwa jemals beklagt? Natürlich hat er unrecht. Anna hat sich in der Angelegenheit der Berliner Note außerordentlich anständig benommen. Es mußte eine Versuchung für sie gewesen sein, diese Note
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