Exil
ich und gehe zum Motorrad. Fuck.
Mutter
Am nächsten Tag sitze ich wie auf Nadeln. Was ist, wenn Christian herausgefunden hat, wo ich wohne? Wenn Alison es ihm erzählt hat? Oder … was passiert, wenn Victor zurückkommt? Das Telefon klingelt, ich lasse das Mädchen abnehmen. Sie soll sagen, ich sei nicht zu Hause, es sei denn, es ist Victor. Es ist nicht Victor. Es ist Christian, Alison oder Vater. Ich wühle meine Unterlagen durch, finde Mutters Nummer. Rufe an.
»Ich habe eine Affäre mit einem Mann«, erkläre ich ihr. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Einem … Mann?«
»Ja, er ist deutlich älter als ich.«
»Wie alt?«, will Mutter wissen.
»Ist doch egal, seine Frau ist schwanger.«
»Samantha«, Mutter seufzt schwer. »Ist er … weiß?«
»Ja. Er ist …« Ich weiß nicht weiter, denn was ist er?
Mutter sagt: »Es ist dumm von dir.«
»Du darfst es niemandem erzählen!«
»Dann musst du mir versprechen, es zu beenden.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, erwidere ich.
»Du kannst es. Und bald bist du ja hier bei mir«, sagt sie sanft. Ich ersticke an ihrer Sanftheit und dem Gedanken an England: Kälte und Regen. Ich muss es plötzlich tun, mitten in einem Satz, den ich selbst ausspreche, dann wird sie glauben, die Verbindung sei unterbrochen.
»Aber Mutter, ich werde dafür sorgen, dass …« Meine Hand drückt die Gabel herunter. Ich weiß nicht, warum ich es ihr erzählt habe. Vielleicht weil es anderthalb Jahre her ist, seit ich sie gesehen habe. Und plötzlich war sie am Telefon so nah … schließlich ist sie meine Mutter.
Pulvermischung
Victor kommt wieder zurück.
»Ich muss noch mal zu Bimji, ein paar Dinge abholen.« Bimji ist Aziz’ Vater, der Hafenagent. Er sorgt für sämtliche Zulassungen und Papiere, wenn man irgendetwas ein- oder ausführen will. Er sorgt vor allem dafür, dass die richtigen Behördenvertreter geschmiert werden.
»Ich will mit.«
»Das ist nichts für dich.«
»Drogen?«, sage ich.
Er sperrt die Augen auf.
»Woher hast du das?«
»Das habe ich gehört.«
Victor lächelt: »Ich muss wissen, wo du das gehört hast?«
»Ich will nicht, dass er Probleme bekommt«, sage ich.
»Okay.«
»Mick.«
»Hm. Er hatte nicht sehr viel Glück, als er noch selbst die Nase im Trog hatte.«
»Ich will mit«, wiederhole ich.
»Es ist nicht ganz ungefährlich«, warnt Victor. Ich zucke die Achseln. Wir fahren am nächsten Nachmittag. Ich soll in Bimjis Büro bleiben, während er und Victor ins Hafengebiet gehen. Eine halbe Stunde später kommen sie mit einer Holzkiste von der Größe zweier Bierkästen zurück. Erledigen den letzten Papierkram. Laut den Frachtpapieren auf der Kiste handelt es sich um Gewürze.
»Ist es Heroin?«, frage ich, als wir wieder im Auto sitzen.
»Zerbrich dir nicht den Kopf.«
»Doch, tue ich.«
»Es ist Kokain. Das meiste geht nach Europa, aber auch hier gibt es einen Markt.«
»Kokain? Woher?«
»Asien. Ich habe eine neue Route aufgebaut. Die Zöllner in Europa checken nichts, was aus Afrika kommt.«
»Und was passiert damit?«
»Ich verpacke es in großen Dosen mit Cashewnüssen. Die Dosen werden nach Deutschland und Holland geschickt.«
Wir fahren nach Hause. Ich folge Victor in die Küche. Er schickt das Mädchen fort, öffnet die Kiste, nimmt ein paar Plastiktütchen mit weißem Pulver heraus.
»Der Rest muss verpackt und morgen weiterverschickt werden.«
»Und das behältst du?«
»Für den einheimischen Markt, damit ich ein bisschen Geld zum Leben habe.«
»Du willst es verkaufen?«
»Ich verkaufe es komplett an einen Burschen, mehr habe ich nicht damit zu tun«, sagt er und nimmt eine Geschmacksprobe.
»Perfekt«, sagt er und greift nach einer großen Schüssel.
»Was machst du?«
»Es muss noch gestreckt werden.«
Victor zieht dünne Plastikhandschuhe an und nimmt sich eine Tüte mit einem anderen weißen Pulver, das er mit dem Kokain vermischt. Ich habe davon gehört, man kann es mit zerbröselten Kopfschmerztabletten, Kartoffelmehl, zerstoßenem Glas oder Kunstdünger strecken – mit allem Möglichen.
»Wie fühlst du dich, wenn du Drogen verkaufst?«
»Es ist eine Ware«, antwortet Victor, unterbricht seine Arbeit und sieht mich an. »Samantha. Dein Vater begreift es nicht. Es gibt keine lukrativen Kriege mehr. Es läuft nicht mehr nach den alten Regeln; wenn es Unruhen gibt, geraten sie außer Kontrolle. Früher waren es Soldaten, Einheiten. Jetzt sind es ganz gewöhnliche Bauern aus den
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