Exil
Jungen?«
»Das kann ich dir doch nicht erzählen«, kichere ich.
»Mich schockiert nichts.«
»Es sind Kinder.«
»Sie haben sicher alle Hände voll zu tun«, meint er. Ich werde regelrecht rot. »Nicht wahr?«
»Ja, eine Menge. So sind alle Jungen.«
»Tja«, sagt Victor und lächelt mich an.
»Bist du auch so?«
»So war ich. Aber jetzt bin ich nicht mehr so beschäftigt.« Wir essen und trinken ein Bier, rauchen Zigaretten, gehen im Garten spazieren, in dem überall kleine orangefarbene Trompetenblumen hängen. »Schmecken die gut?«, will Victor wissen.
»Aber sicher.«
Er pflückt eine, steckt sie sich in den Mund, während er mir zublinzelt, saugt und mit den Lippen schnalzt.
»Ja, der Saft ist süß.« Victor lächelt auf eine Art, dass ich den Blick abwenden muss. Als es dunkel zu werden beginnt, fährt er mich zurück zur Schule. Auf dem Parkplatz steigen wir aus seinem Land Rover. Ich gehe auf seine Seite. »Es war schön, dich wiederzusehen, Samantha. Ich hoffe, wir treffen uns bald mal in Tanga, dann kannst du mir das Tauchen beibringen.«
»Ich werd’s dir bestimmt zeigen.« Ich umarme ihn, drücke ihn an mich.
»Pass auf. Du bist nur ein kleines Schulmädchen«, sagt er und lässt seine Hände auf meinem Rücken liegen, ohne sie zu bewegen. Ich pflanze meine Lippen auf seinen Mund und schiebe die Zunge heraus. Er zuckt zusammen, seine Lippen öffnen sich, doch dann lasse ich ihn los und gehe.
Ich kann ihn durchaus schockieren.
Gefängnisferien
Zwischen dem zweiten und dritten Semester haben wir nur eine halbe Woche Ferien. Ich hoffe, dass Alison zu Hause ist. Wir könnten nach Dar fahren. Aber es klappt nicht. Mutter hinterlässt eine Nachricht, dass Vater mich holen kommt. Einen Tag vor Ferienbeginn werde ich ins Büro gerufen. Vater unterhält sich mit Owen. Ich fange an zu schwitzen. Vielleicht hat Victor Vater erzählt, dass ich versucht habe, ihn zu küssen.
»Hallo, Vater.«
»Samantha, setz dich doch.«
Ich setze mich und sehe meinen Vater an, schaue auf Owen, dann wieder auf meinen Vater. Owen räuspert sich, und Vater fängt an zu reden: »Ich habe einen Brief von der Schule bekommen, in dem man sich über dein schlechtes Benehmen beklagt, über deine schlechten Noten und all die Aufgaben, bei denen du hinterherhinkst. Also, wir fahren jetzt nach Tanga, und dann hast du vierzehn Tage Zeit, deine Hausaufgaben zu erledigen.«
»Aber …«, setze ich an und breche den Satz ab.
»Ich habe die ganze Liste hier«, sagt Vater und zeigt auf einige Papiere vor sich. »Du packst jetzt, und dann fahren wir so schnell wie möglich.« Owen sitzt dabei und nickt.
»Jawohl.«
Ich schmeiße meine Klamotten in eine Tasche und meine Schulsachen in eine andere. Es klingelt, als ich zum Parkplatz gehe. Tazim kommt angelaufen. Ich erzähle ihr, was passiert ist. Tazim nimmt mich in die Arme.
»Pass auf dich auf«, verabschiedet sie sich. Im Auto sagt Vater kein Wort. Bis zur Road Junction herrscht Schweigen, dort hält er, und wir steigen aus. Er fängt an, mich anzubrüllen.
»Du undankbare Mistgöre!« Mir kommen die Tränen. Er brüllt, bis er nicht mehr weiterweiß. Dann zündet er sich eine Zigarette an und reicht mir die Packung. »Das läuft ab sofort folgendermaßen«, sagt er. »Du hast die Schule bis zur zehnten Klasse zu Ende zu bringen. Dann werden wir sehen, wie es weitergeht. In diesen Ferien wirst du alles nachholen, was du vernachlässigt hast. Alison und deine Mutter sind in Dar. Sie werden während der Ferien nicht nach Hause kommen. Du fängst um acht an und arbeitest bis zum Mittagessen. Wir essen zusammen. Dann geht es weiter von eins bis vier. Den Rest des Tages hast du frei. Wenn du all das, was auf meiner Liste steht, abgeliefert hast, kannst du Ferien machen. Verstanden?«
»Jawohl.« Wir fahren weiter. Und so kommt es. Ich stehe um sieben auf, gehe schwimmen, frühstücke und fange an. Vater renoviert das Hauptgebäude des Hotels und die vierzehn Bungalows für die Gäste. Er repariert die Dächer, mauert und kalkt, wechselt Türgriffe aus, schraubt neue Scharniere an die Fenster oder erneuert ganze Fensterpartien. Wir reden nicht viel miteinander, und ich verstehe nicht, wieso er mich beaufsichtigt. Die Tage schleppen sich dahin. Der Stapel mit den Aufsätzen und erledigten Hausaufgaben wird höher.
Juma taucht auf. Er ist Vaters rechte Hand, ein älterer Chagga mit braunen Zähnen vom vielen Fluor im Wasser des Kilimandscharo.
»Shikamoo Mzee«, grüße ich
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