Exil
höflich.
»Samantha!« Er umarmt mich. »Du bist eine hübsche Frau geworden.«
»Was machst du hier? Wollt ihr arbeiten?«
»Ich soll deinem Vater bei ein paar Sachen helfen«, antwortet Juma. Ich habe bemerkt, dass Vater jeden Tag im Hafenbüro von Tanga anruft, seinen Namen nennt und fragt, ob sie schon Näheres wüssten. Ich frage besser nicht. Wir essen mit Juma auf der Veranda zu Mittag, und ich erkundige mich nach seiner Familie, der großen Tochter.
»Samantha muss jetzt arbeiten«, erklärt Vater, und ich arbeite wieder bis vier Uhr nachmittags. Ich habe das Gefühl, dass mir bald der Kopf platzt. Tatsächlich gibt es Tage, an denen ich einschlafe, sobald ich frei habe. Meist gehe ich allerdings fischen. Ich ziehe mein Bikinihöschen und ein altes T-Shirt an, damit ich mir keinen Sonnenbrand hole, und nehme mir die Harpune. Juma ruht sich im Schatten aus.
»Willst du mit, fischen?«
»Ich kann nicht sonderlich gut schwimmen.«
»Aber du kannst das Boot steuern.«
Lächelnd steht er auf. »Das mach ich gern.«
Wir fahren ein Stück hinaus, und ich springe über Bord, jage und werfe den Fang ins Boot.
»Du bist sehr tüchtig«, meint Juma.
»Wir wollen doch etwas Ordentliches zu Abend essen, wenn du zu Besuch kommst«, erwidere ich. Als ich genug habe, klettere ich zurück ins Boot. Juma dreht mir eine Zigarette, wir rauchen. Jetzt kommt’s.
»Dein Vater macht sich Sorgen.«
»Muss er nicht.«
»Es ist wichtig für ihn, dass du gut in der Schule bist, damit du im Leben zurechtkommst.«
»Ich werd schon klarkommen.« Vater hat sich bei Juma über mich beschwert, das sieht ihm gar nicht ähnlich. Wir fahren zurück und liefern den Fang beim Hausmädchen ab, damit sie die Fische zum Abendessen brät. Vater und Juma fahren in die Stadt. In irgendeine Bar. Ich langweile mich zu Tode, trinke Gin und rauche. Denke an Victor und traue mich nicht zu fragen, wo er gerade ist.
Ich erledige meine Hausaufgaben. Jedes Mal, wenn ich mit etwas fertig bin, liefere ich es bei Vater ab. Er blättert darin.
»Du brauchst es nicht zu lesen.«
»Ich will bloß sehen, ob es auch das ist, wofür du es ausgibst«, erwidert er und blättert weiter. »Okay. Die nächste Aufgabe ist Gemeinschaftskunde. Du sollst beschreiben, wie das Öl die politische Entwicklung im Iran seit den dreißiger Jahren beeinflusst hat.«
»Und wie soll ich das ohne Bibliothek machen?«
»Du machst es einfach, so gut du kannst«, entgegnet er und ruft in Tanga an. Er redet mit einem alten Briten, George, der Konsul in Mombasa war und nun pensioniert ist. Am nächsten Morgen sorgt Vater dafür, dass einer der Kellner mich mit dem Land Rover in die Stadt fährt. George erweist sich als ausgesprochen hilfreich. Er setzt sich an seinen Schreibtisch, auf dem ein Lexikon und einige Ausgaben von The Economist liegen. Langsam diktiert er mir den gesamten Aufsatz.
»Hast du es?«, fragt er.
»Ja.«
»So, und jetzt schreibst du das einfach noch mal mit deinen eigenen Worten ab«, sagt er. »Noch etwas?«
»Nein, danke. Und, vielen Dank!«
»Freut mich immer, wenn ich behilflich sein kann.«
Holzkisten
Am Nachmittag fange ich ein paar Tintenfische und bitte Vater, sie George als Dank für seine Hilfe zu bringen. Am nächsten Tag ist Vater unterwegs, am späten Nachmittag kommt er mit einem Lastwagen voller Holzkisten zurück, die in der Garage gestapelt werden. Ich frage nicht nach.
Am frühen Morgen des nächsten Tages ist es kühl. Ich stehe auf und ziehe meine Badesachen an. Ein Lastwagen fährt hinter das Hauptgebäude des Hotels, drei Schwarze steigen aus, darunter Juma. Vater geht ihnen von der Küchentür aus entgegen. Gibt dem Anführer die Hand. Ich beobachte sie durch die Gitter und das Moskitonetz meines Zimmers. Soweit ich sehen kann, handelt es sich bei den Männern nicht um Tansanier. Normalerweise kann ich zwischen den großen Stämmen unterscheiden, wenn es keine Mischlinge sind. Die Männer tragen Militäruniformen ohne Abzeichen, und der Anführer strahlt Selbstvertrauen aus, beinahe Hochmut. Vielleicht sind es Zulus aus Südafrika. Der Afrikanische Nationalkongress, ANC , der gegen die Apartheidregierung kämpft, unterhält Trainingslager in Tansania.
»Helft mir bei den Kisten«, bittet der Anführer Vater und Juma auf Englisch. Vater und Juma tragen die Kisten aus der Garage und laden sie auf den Lastwagen. Ich verstehe nicht, was sie sagen. Der Anführer der fremden Schwarzen zeigt auf eine der Kisten, stellt eine
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