Exil
Und Victor kommt auch nicht wie versprochen vorbei.
Halima teilt mir mit, dass ein Christian angerufen habe, aber jetzt sei er nach Europa geflogen. Ich schreibe ihm einen Brief. Dass ich Lust hätte, mir das Leben zu nehmen, dass ich das Leben, die Welt und alle Menschen hasse.
Ich habe Lernferien. Ich habe es versucht, ich kann nicht eine Zeile lesen. Nichts sagt mir etwas. Ich kann auch nicht essen, nur Cola trinken und Zigaretten rauchen. Mir ist übel vor Hunger. Wenn ich etwas hinunterbekomme, muss ich aufs Klo und mich übergeben. Kopfschmerzen. Ich kann nicht … ich fühle mich innerlich unsauber; ich will nicht, dass man mir Dreck in den Körper gepumpt hat, schleimig, ächzend, ätzend, hässlich. Kein Wasser, und mein Haar ist fettig, die Zigaretten sind schleimiger Tang und Diesel auf meiner Zunge. In der brennenden Sonne knirschende Ablagerungen von Salz an den Augen.
Ein Auto taucht auf dem Hof auf und hupt. Ich hebe die Gardine und schaue hinaus. Polizei. Ein Kellner kommt angelaufen. Die Polizisten fragen ihn etwas. Er zeigt auf meinen Bungalow, sie gehen in meine Richtung. Ich ziehe mir hastig eine lange Hose an. Es klopft an meiner Tür. Ich öffne.
»Was ist?«, frage ich und kneife die Augen zusammen.
»Samantha Richards?«, fragt einer von ihnen.
»Ja.«
»Wir suchen einen Panos Kloukinas. Ist er hier?«
»Nein.«
»Weißt du, wo er ist?«
»Nein.«
»Hält er sich in Tansania auf?«
»Ich weiß es nicht, vielleicht.«
»Bist du sicher? Es ist strafbar, einen Flüchtigen vor der Polizei zu verstecken.«
»Ich wüsste selbst gern, wo er ist«, erwidere ich.
»Okay«, sagt der Polizist. Stefanos Vater würde ihm weit mehr bezahlen, wenn er Panos fände, aber der Polizist hat allein mit dem Versuch ein paar Tageslöhne extra verdient. Wer weiß, was Panos an diesem Morgen getan hat? Wo ist er hin?
Ich trinke K.C. – mehr Konyagi als Cola. Die Nutte ist unterwegs. Finde mehr Konyagi. Hole die Tablettengläser aus Mutters Schrank. Bringe sie in meinen Bungalow, konzentriert, meine Beine gehorchen mir nicht richtig. Schütte die Tabletten in die Cola. Kann nicht einmal weinen. Seht, was ihr anrichtet. Das Tonbandgerät spielt Reggae. Ich schlucke. An der Wand knurrt ein Gecko, die Zikaden geben die schnarrenden Streicher, ein leichter Wind bläst, und ich sage nicht einmal auf Wiedersehen, denn es gibt nichts, was zu verabschieden wert wäre. Spüre, wie die Chemikalien ihre Wirkung entfalten, döse, die Rückenmuskeln werden bleischwer, der Rest ist graue Sahne, die zu Staub zerfällt; kann meine Arme nicht bewegen – hätte gern eine letzte Zigarette. Wie konntet ihr mir das antun? Seht ihr es jetzt? Was ihr spürt, ist das, was ihr spüren sollt; das Resultat von … Ihr wisst, dass ihr mich liebt. Ihr habt es nur vergessen. Der Körper löst sich auf, das Fleisch fällt von den Knochen, die Haut vom Fleisch, die Haare von der Haut – schweben, während das Gewicht der Knochen sich langsam durch die Matratze zwingt; das Fleisch blüht rot auf, verfaulend. Die Augen werden dunkel.
Rostrot
Brennend. Den Hals hinauf. Stäbchen klopfen in meinem Mund, ich würge im Dunklen, Galle steigt auf, ätzend. Meine Muskeln verkrampfen. Da ist eine Stimme, eine Frau.
»Sie muss das jetzt trinken.« Mein Oberkörper wird angehoben, fällt zurück in Arme, die mich auffangen. Licht sticht in meine Augen. Kühle Flüssigkeit wird mir in den Mund gegossen. Der Hals ist geschlossen, sauer. Es läuft übers Kinn, zwischen die Brüste. »Halt ihr die Nase zu.« Grobe Finger an meinem Gesicht, und ich ertrinke – kann nicht … ich muss schlucken, aber der Fluss hört nicht auf, muss ausspucken, schlucken, Luft schnappen. Werde erdrosselt, ertränkt, trinke, schlucke, atme. »Sie soll sich übergeben«, sagt die Frauenstimme. Finger stochern in meinem Hals, der sich zusammenzieht, der Magen verkrampft, Flüssigkeit schießt aus meinem Hals – saurer chemischer Gestank.
Mein Kopf ist durchbohrt von dicken rostigen Eisenstangen, der Körper schmerzt, schwer, träge, grau. Eine Hand auf meiner Stirn, der Geruch von Mottenkugeln gemischt mit einem frisch gebügelten und mit Rosenwasser getränkten Baumwollkleid. Betelnuss. Zwinge die Augenlider auseinander, Schorf löst sich; das Bett meiner Mutter, ein Inder im Anzug und Stethoskop fasst mir an die Stirn. Mundwinkel und Unterlippe leuchten rot. Doktor Jodha. Halima kommt ins Zimmer.
»Tsk«, schnalzt sie, dreht sich um und geht. Ich schaue ihr
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