Existenz
lassen, was einst ein tropisches Paradies gewesen war. Die neuen Bewohner wollten nicht, dass ihnen irgendwelche Ruinen den Ausblick verdarben.
Natürlich gab es jenseits des Riffs viele Dinge, die dem Auge eines Beobachters verborgen blieben. Durch die Fenster des kleinen U-Boots, mit dem Bin hierhergekommen war, hatte er Unterwasser-Industrieanlagen gesehen. Wellenmaschinen, die Strom erzeugten, und Rohre, die Schlamm vom Meeresgrund aufsaugten und im Wasser verteilten, als Dünger für das Plankton, dessen Zunahme wiederum die Fischbestände erhöhen sollte. Gleichzeitig brachten diese Maßnahmen Kohlenstoffkredite ein. Er hatte seine Nase an ein Fenster des U-Boots gedrückt und große Kugeln beobachtet, wie riesige Fußbälle geformt und an Ankertauen befestigt: gewaltige Pferche, in denen Thunfische heranwuchsen und für den Markt gemästet wurden. Eine echte industrielle und ökonomische Infrastruktur … unter der Wasseroberfläche, um nicht die Reichen zu stören, die oben wohnten, in der Welt aus Licht und Luft.
Ein Aufblitzen von weißem Tuch und silbrigem Metall … Bin zuckte zusammen, als sein rechtes Auge, das gerade eine Operation hinter sich hatte, zu stark auf das plötzlich von einer neunzehn Meter langen Schaluppe reflek tierte Licht reagierte, die um die Ecke von Newer Newport kam. Helle Neoseide blähte sich im Wind, und Gestalten eilten übers Deck, zogen an Leinen. Ein Ruf – fern, aber klar – hallte übers glatte Wasser der Lagune.
»Zwei-Sechs, hiev!«
Andere Stimmen antworteten, und ein gut eingespieltes Team machte sich daran, das Hauptsegel zu setzen. Zwar strengten sich die Leute an Bord an, aber nur wenige hätten in diesem Zusammenhang von »Arbeit« gesprochen. Immerhin waren selbst die ärmsten Bürger dieser unabhängigen Nation um ein Zehntausendfaches reicher als Peng Xiang Bin. Bin fand den Anblick faszinierend, in vielerlei Hinsicht.
Ich habe immer gedacht, Reiche würden herumliegen und alles von Bediensteten und Robotern erledigen lassen. Sicher, man hört gelegentlich von reichen Athleten und Bastlern. Aber ich hatte keine Ahnung, dass so viele von ihnen schwitzen und schuften … aus Spaß. Oder dass sie so …
Er schüttelte den Kopf, denn ihm fehlten die Worte. Dann geschah etwas, das er noch verwunderlicher fand. Ein dunkler Fleck erschien wie durch Magie in einer unteren Ecke seines rechten Auges. Er verwandelte sich in ein einzelnes chinesisches Zeichen, mit einer Reihe kleinerer Symbole darunter, die sowohl eine Definition als auch Aussprachehilfe anboten.
Besessen.
Ja. Dieses Wort kam seiner Vorstellung nahe. Beziehungsweise dem, was die KI in seinem Auge vermutete, nachdem sie seinem Blick gefolgt war und unbewusste Signale in seiner Kehle und subvokalisierten, unausgesprochenen Worten gedeutet hatte.
Bestimmt dauerte es eine Weile, bis er sich an diese neue Sache gewöhnte.
»Peng Xiang Bin«, erklang eine Stimme hinter ihm. »Du hast geruht, und der Weltstein hatte Gelegenheit, sich aufzuladen. Es wird Zeit für dich, mit ihm zurückzukehren.«
Diese Stimme war auch aus dem Pinguin-Roboter gekommen, seinem ständigen Begleiter während der eiligen Reise, die vor weniger als hundert Stunden begonnen hatte. Zuerst war er von Frau, Kind und Küstenheim fortgeschwommen und dann an Bord des kleinen U-Boots gegangen, dem zwei Tage an Bord eines Frachters folgten. Anschließend war er mitten in der Nacht in ein Wasserflugzeug geklettert, das ihn zum letzten Rendezvous mitten im Meer gebracht hatte, zu einem weiteren U-Boot. Die ganze Zeit über hatte ihn der schwarze vogelartige Roboter begleitet. Bins Gefährte, oder Aufpasser, hatte in einem sanften, beruhigenden Ton über seine bevorstehenden Pflichten als Hüter des Weltsteins gesprochen.
Erst am Ende der Reise, als das Unterseeboot auftauchte und Bin Newer Newport von Pulupau betrat, begegnete er dem Eigentümer der Stimme.
»Ja, Dr. Nguyen«, antwortete er und verneigte sich vor einem schmächtigen Mann mit vietnamesischen Zügen und langem schwarzen Haar, das er zu Zöpfen geflochten trug. »Ich komme, Sir.«
Er drehte sich zu dem gebrochen weißen eiförmigen Gegenstand um, dem Weltstein , der eine Stunde lang auf einem nahen Tisch in der Sonne gelegen und Energie aufgenommen hatte. Eine willkommene Pause auch für Bin. Er hielt den Stein so vorsichtig wie ein Kleinkind und folgte Nguyen Ky durch eine Schiebetür aus Mattglas. Aus reiner Angewohnheit ging er langsam, um seinen Augen Gelegenheit zu
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