Existenz
einmischte. Sein Blick war so durchdringend, dass Bin zurückwich und aufgefordert werden musste, sein eingeschüchtertes Schweigen aufzugeben. »Bitte sprich, Sohn«, sagte Dr. Nguyen. »Welche anderen meinst du?«
Bin schluckte.
»Andere … Steine.«
Nguyen musterte ihn aufmerksam.
»Bitte erklär das, Xiang Bin. Welche anderen Steine meinst du?«
»Nun, geehrter Herr …« Bin nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach langsam und vorsichtig. »Als ich hier ankam … Da haben Sie mir großzügigerweise den Bericht gezeigt … den geheimen Bericht über Legenden, die heilige glänzende Kugeln oder Steine betreffen, von denen es heißt, dass sie … seltsame Dinge zeigen. Einige dieser Objekte sind bekannt: Kristallkugeln und Drachensteine. Andere Geschichten sind über Generationen hinweg in Familien oder Geheimgesellschaften weitergegeben worden. Sie selbst haben eine geheime Fabel erwähnt, die neuntausend Jahre zurückreicht, nicht wahr? Es ist … es ist interessant, diese Geschichten mit der Wahrheit zu vergleichen, die wir hier vor uns sehen … und doch …«
Bin zögerte und wusste nicht recht, wie er fortfahren sollte.
»Nur zu«, ermunterte ihn der reiche Mann, der eine Gruppe vieler anderer reicher Männer und Frauen in Asien repräsentierte.
»Und doch … Ich verstehe nicht, warum jener Bericht ganz allein einen solchen Eifer in Menschen weckt … warum er sie veranlasst, so viel Geld auszugeben und sich solche Mühe zu geben bei … der Suche nach einer solchen Sache! Ich meine, warum sollten moderne Menschen – gebildete Leute wie Sie, Dr. Nguyen – derartigen Geschichten oder irgendeinem Gefasel über Dämonen Glauben schenken?« Bin schüttelte den Kopf und verdrängte den Umstand, dass er immer an Geister geglaubt hatte, zumindest ein wenig. Wie viele andere Leute auch.
»Ich glaube, der frühere Besitzer unseres Weltsteins …«
»Lee Fang Lu«, warf Yang Shenxiu ein und nannte einen Namen, den Bin jetzt zum ersten Mal hörte. Gemeint war der Mann, dem das luxuriöse Strandhaus mit dem Keller gehört hatte, in dem Bin auf eine mit alten Objekten gefüllte Schatzkammer gestoßen war. Er nickte dankbar.
»Lee Fang Lu ist vielleicht verhaftet, gefoltert und getötet worden, weil …«
»Weil vermutet wurde, dass sich so etwas in seinem Besitz befand.« Dr. Nguyen nickte, und seine Perlen rasselten leise. »Bitte fahr fort.«
»Und dann die Art und Weise, wie Sie und Ihre Rivalen sich auf mich gestürzt haben, als ich auch nur einen kleinen Hinweis auf das Objekt und meine Absicht, es zu verkaufen, ins Weltnetz gestellt habe. Als das Havanna-Artefakt entdeckt wurde, gab es ganz offensichtlich bereits mächtige Gruppen, die Bescheid wussten über …«
Bin suchte nach den richtigen Worten. Das Implantat reagierte darauf und blendete im unteren rechten Rand seines Blickfelds ein neues, ihm nicht vertrautes chinesisches Zeichen ein, außerdem auch noch eine Reihe mit Pinyin-Symbolen und römische Buchstaben für die Aussprache. Inzwischen wurde das Implantat immer öfter auf diese Weise aktiv, als seine Vertrautheit mit ihm wuchs – immer besser analysierte es Bins Absichten und half ihm bei dem, was er sagen wollte.
»… das Spektrum plausibler Möglichkeiten …«, sagte er vorsichtig und strich gleichzeitig mit dem Zeigefinger über die Innenfläche der anderen Hand – eine übliche Geste bei einem unvertrauten Wort. Er sah, wie die anderen ein wenig lächelten. Sie waren an so etwas gewöhnt.
»Ich finde es nur schwer zu glauben, dass sich mächtige Leute mit so großem Aufwand … nach einem derartigen Objekt auf die Suche begaben, als sie vom Havanna-Artefakt erfuhren … Solche Mühe haben sie sich bestimmt nur gemacht, weil sie wussten, dass eine große Aussicht auf Er folg bestand. Ihnen muss klar gewesen sein, dass mehr dahintersteckte als nur Legenden.«
Bin sah Dr. Nguyen an, von der eigenen Kühnheit überrascht.
»Ich glaube, der Bericht hat viel ausgelassen, Sir. Ist es möglich, dass einige Gruppen bereits über Weltsteine verfügen? Heute, in dieser modernen Zeit?«
Menelaua schüttelte den Kopf und knurrte: »Lächerlich.«
»Und warum, Paul?«, fragte Anna Arroyo. »Es würde die zeitliche Übereinstimmung erklären, zumindest ein bisschen. Vielleicht sind im Lauf der Zeit immer wieder solche Objekte bei uns eingetroffen, wie an den Strand gespülte Flaschenpost. Die meisten von ihnen befinden sich möglicherweise in hohen Umlaufbahnen und warten darauf, von
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