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Existenz

Existenz

Titel: Existenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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Galerien des alten überdachten Stadions führte.
    Slawek ärgerte sich weniger darüber, an diesem Tag für den Ordnungsdienst eingeteilt zu sein, als er erfuhr, dass er mit Dr. Betsby auf Runde gehen sollte. Das gab ihm Gelegenheit, Fragen zu stellen. Allerdings hatte der Doc zuerst eigene, als sie Familienlager im Zwischengeschoss besuchten.
    »Hast du weiter gelernt, Sohn?«
    »Ja, Sir«, antwortete Slawek ein bisschen nervös. Dieser Mann hatte die Macht, ihm die Erfahrungsstudien zu nehmen und ihn in die klassische, altmodische Schule zurückzuschicken, wo launische Teenager Fleisch-und-Blut-Lehrern das Leben vermiesten.
    »Ich lese auch Papierbücher«, teilte er dem Arzt mit, der sich um Gesundheit und Wohlergehen in der Silberkuppel kümmerte. Während der letzten Monate war Betsbys von grauen Strähnen durchsetztes rötlichgelbes Haar länger geworden; hinzu kamen ein Bart und ein oft in die Ferne reichender Blick. Seine zentrale Aufmerksamkeit galt derzeit den Anzeigen eines kleinen Geräts, mit dem er den fleckigen Arm einer älteren Frau aus dem überschwemmten Bangladesch scannte. Slaweks Aufgabe bestand darin, ihm Instrumente zu reichen und gleichzeitig nach Ärger Ausschau zu halten. Aus manchen Kulturen stammende Menschen mochten es nicht, von Autoritätspersonen untersucht zu werden – es verstärkte die schwelende Anspannung im Schmelztiegel eines Flüchtlingslagers. Slawek war nicht nur kräftig gebaut und gewieft, sondern wusste auch, wie man sich verteidigte. Aber er sah noch immer genug nach einem Kind aus, um für ungefährlich gehalten zu werden, insbesondere dann, wenn er ganz bewusst ein naiv-dummes Lächeln zeigte.
    Unter den gegebenen Umständen erschien ihm das besonders klug. Mehrere Männer, wahrscheinlich die ältesten Söhne der Frau, warteten in der Nähe und beobachteten das Geschehen wachsam. Slawek zeigte ihnen ein fröhliches Gesicht und bekam dafür ein mürrisches Nicken.
    »Kommen Sie morgen zum Krankenappell«, wandte sich Betsby an die Frau. »Eine Krankenschwester wird Ihre Untersuchung beenden. Wenn Sie nicht kommen, verliert Ihre Familie Privilegien. Wenn Sie kommen, gelingt es uns bestimmt, etwas Passendes zusammenzupanschen und dafür zu sorgen, dass dieser hässliche Ausschlag verschwindet. Haben Sie verstanden?«
    Die Frau neigte den Kopf zur Seite und lauschte der Stimme eines längst überholten Übersetzungsstöpsels im Ohr. Dann sah sie auf, nahm die Hand des Doktors und dankte ihm in schnell gesprochenem Bengalisch, woraufhin sich ihre Söhne verneigten. So war es oft bei den Runden: ein Zyklus aus An- und Entspannung, den Slawek anstrengender fand als jede andere Arbeit.
    Aber der Doc vertraut mir. Das ist viel wert.
    Sie wandten sich um und schritten durch den Gang LL4. Nach einer Weile blieb Dr. Betsby stehen und sah Slawek an.
    »Welche Bücher?«
    »Sir?« Der Blickkontakt mit dem Doc verunsicherte ihn immer.
    »Die eben erwähnten Papierbücher. Woher hast du sie?«
    »Äh … Es gibt eine ziemlich gute Bibliothek in der alten Owner’s Box über der Fünf-Yard-Linie. Der alte Professor Mills hat uns gebeten, alle Texte zu bergen, die wir in Rückgewinnungshäusern finden. Ich behalte sie nur etwas länger und sehe sie mir an.«
    »Und was liest du dabei, Slawek?«
    »Nun, Sir … mein historisches Kurrikulum umfasst den ersten amerikanischen Bürgerkrieg. Meistens gehe ich in volle Datenimmersion und unternehme Erlebnistouren, geleitet von einem Shelby-Foote-Substitut. Es wird Straße nach Apomatics genannt.«
    »Es heißt Appomattox . Die Touren kenne ich. Man kann richtig fühlen, wie die Minié-Geschosse bei Shiloh an einem vorbeifliegen. Und dazu liest du ein Buch?«
    »Ja, Klima und Geschichte von Professor David Greene. Es ist ein bisschen trocken, aber auch interessant. Er behauptet, der Norden hätte den Sezessions krieg gewonnen, weil er mehr Immigranten aus Europa bekam. Wegen der Sklaverei im Süden, wie viele Leute annehmen. Aber Greene nennt einen anderen Grund: Der Ackerbau war einfacher an Orten, an denen jedes Jahr Schnee auf den Boden fällt.«
    »Und warum sollte das so sein, Slawek?« Betsby schien nur halb zuzuhören, als er mehrere Ältere bei den nächsten Verschlägen grüßte. Ihre Bewohner zogen die Vorhänge beiseite, damit die Scanner des Doktors ihre Feldbetten und Habseligkeiten erfassen konnten. Diese Familie, aus der Heißen Zone von Paraguay, bekam besondere Aufmerksamkeit und wurde um wöchentliche Blutproben gebeten.

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