Existenz
Experiment nicht medizinischer Natur gewesen war, sondern gesellschaftlicher. Vielleicht würde die Botschaft, die durch seinen Tod besonderen Nachdruck bekommen hatte, eine eher launische und oft unberechenbare Öffentlichkeit dazu bewegen, die Lektion des Arztes zu lernen. Eine Lektion über Reife versus selbstgerechten Zorn.
Vielleicht. Für kurze Zeit.
Aber es ging Hamish nicht um das Ergebnis, sondern um eine Erkenntnis, die ihn mit plötzlicher Wucht getroffen hatte, vermittelt von Betsbys innovativer Methode, eine Botschaft zu überbringen.
Eine Beichte ist immer glaubwürdiger als ein Verleugnen.
Hamish fühlte eine plötzliche Leere in der Magengrube, geschaffen von Sorge. Das Handeln, über das er jetzt nachdachte, würde alles verändern. Schreckliche Gefahren waren damit verbunden, vermutlich ebenso groß wie jene, denen sich Roger Betsby gegenübergesehen hatte. Aber es lockte auch ein großer Lohn. Und es gab eine echte Chance, die Welt zu verändern, was all seinen Werken trotz ihrer düsteren Warnungen bisher nicht gelungen war.
Könnte ich es wirklich tun? Soll ich die Idee zuerst genau untersuchen? Mich mit den Details befassen und sorgfältig das Für und Wider abwägen?
Oder verliere ich dadurch das Bewegungsmoment, die impulsive Genialität?
Das Zeitfenster war ziemlich schmal. Die Weltwirtschaft schlitterte immer mehr in eine Krise, weil Tausende Selbstmord begingen, Zehntausende randalierten, Millionen der Arbeit fernblieben und Milliarden mit ihren Tru-vu-Brillen starrten oder in smarte Glotzen glotzten, von der Furcht angesteckt, die die Botschafter der Außerirdischen vermittelte. Die gewöhnlichen politischen Institutionen zögerten unschlüssig, aber die planetaren Drahtzieher hinter den Kulissen schickten sich an, etwas in Gang zu setzen, das Hamish viele Jahre lang für richtig und erstrebenswert gehalten hatte.
Doch jetzt wuchs sein Zweifel daran, ob die von Tenskwatawa und den Oligarchen angebotene »Lösung« wirklich richtig und erstrebenswert war.
»Mr. Brookeman?«
Er öffnete die Augen. Ein wenig erschrocken starrte Hamish die zierliche Laboratoriumsdirektorin Dr. Nolan an, die nur halb so groß war wie er und kaum einen Meter entfernt stand.
»Mr. Brookeman, ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen, dass wir Ihren Termin mit Tarsus verschoben haben. Sie verstehen sicher, dass die aktuellen Ereignisse Vorrang haben.«
Mag sein, dachte Hamish. Aber Sie haben dem Oktopus-Orakel langweilige und dumme Fragen gestellt. Doch er ließ sich seinen Ärger nicht anmerken und lächelte freundlich.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, fuhr die Direktorin fort. »Wir bieten Ihnen Zeit mit Patmos, unserer Papageien-Weissagerin. Mit ihren Vorhersagen hat sie fast so oft richtig gelegen wie Tarsus, und wir können Ihnen einen beträchtlichen Rabatt einräumen.«
Hamish nickte.
»Na schön. Zeigen Sie mir den Weg.«
Als er der Hüterin animalischer Auguren folgte, dachte Hamish über die Frage nach, die er dem Papageien stellen sollte. Inzwischen war es nicht mehr die Frage, mit der Tenskwatawa ihn hierher geschickt hatte.
Wenn ich mein Verbrechen gestehe … Kann ich damit die Ereignisse der Welt beeinflussen und das gewünschte Ergebnis erzielen?
Natürlich musste er die Frage vereinfachen und sie in Form einer Ja-nein-Entscheidung beziehungsweise Entweder-oder-Wahl präsentieren, damit die gefiederte Prophetin einen von zwei Behältern öffnete und ihm einen Leckerbissen entnahm. Eigentlich war Hamish gar nicht sicher, ob er an diese Art von Hellseherei glauben wollte. Die meisten angesehenen Wissenschaftler hielten nichts davon und führten die vielen »Treffer« auf statistische Schwankungen zurück. Aber da er schon einmal hier war …
Und wenn die Antwort »Ja« lautet? Habe ich dann genug Mumm, den Plan in die Tat umzusetzen?
Selbst wenn ich den Mut dazu finde … Ich brauche Hilfe. An wen könnte ich mich wenden? Ich benötige Leute mit technischen Fähigkeiten, die sich gut darauf verstehen, im Verborgenen aktiv zu werden und schnell zu handeln …
Sein Unterbewusstsein war ihm bereits voraus. Das merkte Hamish, als seine linke Hand in der Jackentasche erneut nach dem kleinen Behälter mit der KIntaktlinse tastete.
Die geheimnisvollen Dritten haben mir schon einmal geholfen … dabei, die Banalität des Aristokratenclubs zu durchschauen.
Sie meinten, ich bräuchte mich nur erneut mit ihnen in Verbindung zu setzen, wenn ich einen weiteren Schritt auf diesem
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