Existenz
regelmäßig von Selbstgerechtigkeit und Frömmelei high werden. Sie kennen solche Leute – wir alle kennen sie. (Selbst Normalos haben einen solchen Rausch schon einmal im Gesicht der Person gespürt, die sie im Spiegel sehen.)
Es wird zweifellos nicht an Stimmen mangeln, die mir für das, was ich mit Senator Strong gemacht habe, Scheinheiligkeit vorwerfen. Sei’s drum. Untersuchen Sie mein Leben, meine Leistungen und meine Meinungen, und stellen Sie fest, ob das alles in ein Suchtmuster passt. Könnte durchaus sein.
Aber es geht hier nicht um mich.
Vor Jahren gab die medizinische Welt bekannt, dass selbstgerechte Empörung eine Sucht so ernst wie Drogenmissbrauch sein kann. Ich hätte erwartet, dass die Öffentlichkeit davon Kenntnis nimmt. Ich dachte, die große Mehrheit der gemäßigten, vernünftigen Leute würde aufhören, auf die Wut-Junkies zu hören – die Esser –, die von rechten oder linken Rednerpulten Hass beziehungsweise religiösen Wahn predigen. Sollten Offenlegung und Erklärung des Musters nicht die Grimmigen entmachten, die Verhandlungen ablehnen, und jene fördern, die den Weg der Vernunft beschreiten? Sollte dadurch nicht die Tendenz zunehmen, auf die Nachbarn zu hören und gemeinsam pragmatische Lösungen für Probleme zu erarbeiten? Sollten dadurch nicht die Leute gefördert werden, die ein Positivsummenspiel vorziehen?
Man sollte meinen, dass diese inzwischen bestätigte wissenschaftliche Tatsache all die wilden Typen erledigt, die vernünftige Argumente und Diskussionen im öffentlichen Leben ruiniert haben, indem sie ihre Gegner als das reine Böse darstellten, während sie sich selbst als das pharisäische Gute präsentierten. Wenn klar wird, dass ihr »gerechter Zorn« auf ein Suchtmittel zurückgeht, das sie in ihren eigenen Köpfen schaffen … Müsste das ihre Glaubwürdigkeit nicht stark einschränken?
Zu meiner großen Enttäuschung haben die meisten Medien der Neuigkeit keine Beachtung geschenkt. Immerhin erringen sie Aufmerksamkeit mit Sie-gegen-uns- Dichotomien und Schwarz-Weiß-Polarisierungen. Sie sahen für sich selbst keinen Nutzen in der Abwendung vom Konflikt und der Rückkehr zu vernünftigen Debatten – das wäre langweilig gewesen.
Mir wurde klar: Um der Öffentlichkeit die Bedeutung dieses wissenschaftlichen Durchbruchs klarzumachen, musste es zu einem Ereignis kommen, das die Medien nicht ignorieren können.
Es war eine öffentliche Demonstration nötig. Die habe ich geliefert.
Warum ist Senator Strong an jenem Tag übergeschnappt? Und warum wirkte er auch einige Tage danach noch, als wäre er verrückt? Er bekam kein bewusstseinsveränderndes Gift, das seine Vernunft ausschaltete, sondern eine Medizin , die Süchtigen den Feedback-Genuss ihres High-Seins nimmt. Als der scheinheilige Zorn Senator Strong nicht den erwarteten Kick gab, wurde er noch zorniger und ausfallender, auf der Suche nach dem Glücksgefühl, das sich einfach nicht einstellen wollte.
In der typischen Art von Süchtigen legte er immer mehr nach, um Befriedigung zu erlangen. Er hielt nicht inne und dachte: Hier sollte ich besser Schluss machen . Nein, er überhörte die Stimme der Vernunft und stürmte geradewegs dem Abgrund entgegen, unfähig dazu, rechtzeitig stehen zu bleiben.
Das ist alles. Das war mein Plan, mein Experiment.
Dass es funktioniert hat, lässt sich nicht bestreiten.
Ebenso klar ist, dass ich gegen das Gesetz verstoßen habe, außerdem auch gegen die Regeln meines Berufs. Ich habe eine zugelassene Medizin verabreicht, zur Behandlung einer diagnostizierten Krankheit – aber ohne Kenntnis und Einwilligung des Patienten und somit auf unethische Weise. Dafür sollte ich bestraft werden und vielleicht ins Gefängnis kommen. Nun, ich bin bereit, meine Strafe in der Tradition von Gandhi zu empfangen, mit ruhiger Akzeptanz.
Aber das Experiment lässt sich nicht rückgängig machen, und es hat allen Leuten vor Augen geführt, was ihnen klar werden sollte. Senator Strong kann sich nicht mit dem Hinweis herausreden, dass er eine »Droge« bekam. Die Meinungen, die er zum Ausdruck brachte, stammten wirklich von ihm. Er verhielt sich so, weil er süchtig ist – ein Wort, das nicht umsonst einen negativen Inhalt hat.
Millionen werden jetzt darüber nachdenken, die selbstgerechten Junkies in ihrer Mitte mit anderen Augen sehen, ihnen mit anderen Ohren zuhören. Sie werden erkennen, wie solche Leute die Leidenschaft und das Durchhaltevermögen von Süchtigen benutzen, um die
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