Existenz
vielleicht bei der Yan’nan-Rebellion ums Leben, aber für Tausende von anderen Seeleuten der berühmten Schatzflotte des Drachenthrons war dies alles andere als eine gewöhnliche konfuzianische Übung. Es zeigte, was geschehen konnte, wenn ein kühner Kaiser der großen Nation die Möglichkeit gab, ihr wahres Potenzial zu entfalten und in die Zukunft zu schauen, anstatt in der Vergangenheit zu verharren.
Zheng Hes Reisen brachten Tribute, Handelsgüter und Wissen nach Hause. Wenn spätere Kaiser sie fortgesetzt hätten, wäre vielleicht eine mächtige chinesische Armada in den Hafen von Lissabon gesegelt, um Heinrich den Seefahrer mit Schiffen so groß wie Kathedralen zu beeindrucken.
Doch schließlich starb der extrovertierte Kaiser. Sein Nachfolger schränkte den Handel stark ein und verbot hochseetüchtige Schiffe. Es war alles Teil eines alten Zyklus. Epochen der Erleuchtung, wie die der Song-Dynastie, folgten lange Perioden von Unterdrückung und Konformität. Bevor Wilhelm der Eroberer bei Hastings landete, produzierten die Hoch- und Koksöfen von Henan hunderttausend Tonnen Eisen pro Jahr! Und dann wurden sie ganz plötzlich stillgelegt, bis zum zwanzigsten Jahrhundert.
Oft lag es nicht an der Wirtschaftslage oder Politik, sondern an den Launen einer hyperkonservativen Elite, der Ruhe und Gelassenheit lieber waren als die Hektik des Wandels. Insbesondere eines Wandels, der ihren Status bedrohte oder den Armen Macht gab.
Wenn sie tief genug geht, beeinflusst die Abkehr sogar die Erinnerung. In unserem Beispiel wurden die Aufzeichnungen und Navigationstafeln von Zheng Hes Expeditionen verbrannt, zusammen mit den Schiffen. Chinas südliche Grenze wurde verwüstet und in lebloses Niemandsland verwandelt. Als im achtzehnten Jahrhundert Besucher aus dem Westen den kaiserlichen Hof mit mechanischen Uhren und anderen Wundern erstaunten, zitierten einige Gelehrte aus alten Texten und meinten: »Oh, ja, auch wir hatten solche Dinge. Früher.«
Wiederholt sich die Geschichte? Wenden sich die Han nach der jüngsten, von eifrigem Modernismus bestimmten Epoche, die die ganze Welt mit ehrgeizigen Leistungen beeindruckte, wieder nach innen? Es gab bereits Anzeichen von Rückzug in einer Generation von zu wenigen jungen Leuten, vor allem Frauen. Dann der schreckliche Schlag: eine vom Pech verfolgte Weltraummission, die (ironischerweise) nach Admiral Zheng He benannt war.
Abkehr scheint immer einen gewissen Reiz zu haben. Doch wird sich diesmal die ganze Welt vom Wandel abwenden? Wird sie um der Stabilität willen auf Fortschritt verzichten? Antitechnologen führen das alte chinesische Muster als Vorbild dafür an, wie man sich rechtzeitig vom drohenden Abgrund abwenden kann.
Aber wir wissen auch, dass es immer eine andere Seite gegeben hat. Eine Seite, die vom wundervollen Zheng He und vielen anderen wie ihm repräsentiert wurde. Eine Seite, auf der jene stehen, die nach vorn blicken.
Aus: Erläuterungen zur Bewegung
von Thormace Anubis-Fejel
Zeitkapsel 19
Manchmal bedauerte Hamish, dass er Brillen nicht mochte, denn er wusste, dass ihre Benutzung durchaus vorteilhaft war. Man konnte mit ihnen in zehn und mehr verschiedene Richtungen sehen und Daten aus so vielen verschiedenen Quellen empfangen, dass selbst erfahrene Multitasker an ihre Grenzen stießen. Was vielleicht erklärte, warum manche Leute auf die neuen smarten Kontaktlinsen umstiegen, die fast nicht zu entdecken waren, abgesehen von den nervösen Augenbewegungen des Benutzers, der in die zig Welten der Infosphäre blickte, während er vorgab, ganz im Hier und Jetzt zu sein.
Andererseits … Zeigten Studien nicht ein starkes Nachlassen der Konzentration, wenn man die Aufmerksamkeit zwischen so vielen verschiedenen Dingen teilen musste? Wie hieß es doch noch? Wer viel macht, macht nichts richtig. Ja, Studien zeigten, dass Konzentration sehr wichtig war, zum Beispiel …
… wenn man einen Vortrag hielt. Ein weiterer Grund dafür, warum Hamish dabei auf eine Brille verzichtete und nur einen eOhrring trug, der ihm den Empfang besonders wichtiger Benachrichtigungen gestattete. Aufmerksam und auf die reale Welt fokussiert, ließ er den Blick übers Publikum schweifen und hielt nach Reaktionen Ausschau.
Diese Zuhörer waren natürlich schwierig. Hamish erwartete nicht, viele dieser Extropianer, Singularitarianer und Möchtegern-Methusalems zu konvertieren. Sein wahres Publikum wartete woanders auf ihn: Tenskwatawa würde eine Kurzversion dieses Vortrags den
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