Exit to Eden
Martins Haus in San Francisco, um dort, und nur dort, das Gefühl zu haben, wirklich lebendig zu sein.
Als ich an der Reihe war, erzählte ich ihr von meinem Vater, der ein Atheist war und aus tiefstem Herzen an sexuelle Freiheit glaubte. Ich erzählte, wie er mich, als ich noch ein Teenager war, nach Las Vegas gefahren hatte, um gevögelt zu werden, wie er meine Mutter verrückt machte, weil er wollte, daß sie mit ihm zum Nacktbadestrand ging, und wie sie sich schließlich scheiden ließ - eine mittlere Katastrophe, von der sich niemand von uns wirklich erholt hatte. Sie gab Klavierunterricht in Los Angeles und begleitete einen Gesanglehrer und kämpfte ständig mit meinem Vater um kümmerliche fünfhundert Dollar Unterhalt monatlich, weil sie nicht genug verdiente. Mein Vater war reich. Seine Kinder ebenfalls, weil sein Vater uns Geld hinterlassen hatte. Aber meine Mutter hatte nichts.
Mich machte es wütend, darüber zu reden, also wechselte ich das Thema. Ich hatte meiner Mutter einen Scheck über hunderttausend Dollar gegeben, bevor ich zum Club abgereist war. Ich hatte ihr ein Haus gekauft. Sie hatte einen ganzen Haufen schwuler Freunde, die ich nicht ausstehen konnte, Frisör-Typen, und sie war auf eine unscheinbare Weise noch immer hübsch, doch sie glaubte nicht an sich.
Mein Vater war ein großer Umweltschützer in Nordkalifornien, kettete sich an Mammutbäume, um zu verhindern, daß sie gefällt würden, besaß ein gutgehendes Restaurant in Sausalito, zwei Pensionen in Mendocino und Elk und unzählige Morgen Land in Marin County. Er engagierte sich stark für die nukleare Abrüstung. Er besaß die größte pornographische Sammlung außerhalb des Vatikans. Doch S&M hielt er für krank.
Wieder mußten wir lachen.
Er hielt Sadomasochismus für widerlich, pervers, kindisch, destruktiv und schwang Reden über Eros und Thanatos, und als ich ihm vom Club erzählte ich hatte ihm gesagt, er befinde sich im Mittleren Orient , drohte er mir, mich in die Nervenheilanstalt in Napa einweisen zu lassen. Aber dafür blieb ihm keine Zeit.
Mein Vater hatte kurz vor meiner Abreise ein einundzwanzigjähriges Mädchen geheiratet; sie war ein Dummkopf.
»Warum hast du ihm denn vom Club erzählt?« Sie konnte nicht aufhören zu lachen. »Du hast ihm detailgetreu berichtet, was du alles angestellt hast?«
»Warum nicht? Er hat auch in Las Vegas vor der Hotelzimmertür gewartet, während ich mit einer Nutte geschlafen habe. Ich erzähle ihm alles, wenn du es genau wissen willst.«
Sie lachte noch immer. »Ich frage mich, was aus uns beiden geworden wäre, wenn unsere Väter uns verlassen hätten, als wir noch klein waren.«
Wir hatten die Washington Avenue erreicht und gingen quer über die Pyrthania Street, um zu sehen, ob die Bar im Commanders Palace noch offen hatte. Sie war geöffnet, und wir tranken noch zwei Bier und redeten die ganze Zeit über unsere Eltern und was sie uns über Sex gesagt hatten und auch über andere Dinge, die nichts damit zu tun hatten. In Berkeley hatten wir die gleichen Lehrer gehabt, wir hatten die gleichen Bücher gelesen, die gleichen Filme gesehen.
Gäbe es den Club nicht, dann wüßte sie nicht, was aus ihr geworden wäre, Schriftstellerin vielleicht, aber das war nur ein Traum. Sie hatte nie etwas anderes geschrieben als ein S&M- Drehbuch.
Ihre Lieblingsbücher amüsierten mich irgendwie, aber ich liebte sie nur noch mehr deswegen. Es waren reichlich starke Sachen drunter, zum Beispiel Fiesta von Hemingway oder Letzte Ausfahrt Brooklyn von Hubert Selby oder Nacht in der Stadt von Rechy. Andererseits liebte sie auch Das Herz ist ein einsamer Jäger von Carson McCuller und Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams.
»Mit anderen Worten«, sagte ich, »Bücher über sexuelle Außenseiter, Leute, die verloren sind.«
Sie nickte, aber es steckte noch mehr dahinter. Es war eine Frage der Energie und des Stils. Wenn es ihr dreckig ging, nahm sie Letzte Ausfahrt Brooklyn zur Hand und las »Tralala« oder »Eine Großfürstin stirbt«. Sie kannte die Geschichten so gut, daß sie sie praktisch auswendig hersagen konnte. Sie liebte die Poesie der Finsternis.
»Ich werde dir sagen, warum ich mich fast mein ganzes Leben lang als Außenseiterin gefühlt habe; nicht, weil ich mit acht Jahren einen Orgasmus gehabt hatte oder beschämt und heimlich anderen Kindern zuhörte, wenn sie beschrieben, wie ihnen der Hintern versohlt wurde, oder weil ich nach San Francisco fuhr, um mich in einem von
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