Exit to Eden
die Kinder lassen einen nicht in Ruhe, bis man einem was zahlt, damit er die anderen verscheucht. In Kairo kriegt man Sand in Augen und Haare. In New York ist es entweder zu heiß oder zu kalt, oder man wird überfallen. In Rom wird man an jeder Straßenkreuzung beinahe überfahren. San Francisco ist zu hügelig, um irgendwo anders als auf der Market Street herumzulaufen; der flache Teil von Berkeley ist zu häßlich. London ist zu kalt, und im Gegensatz zu dem, was alle sagen, habe ich als Spaziergänger Paris als unfreundlich empfunden, alles grau und aus Stein und zu viele Leute. Aber New Orleans. Das Pflaster ist warm, die Luft wie Seide, überall stehen große, ausladende, üppige Bäume, die ihre Äste genau in der richtigen Höhe ausgebreitet haben, als hätten sie ßt, daß wir kommen.
Die ganze Saint Charles Avenue entlang sieht man wunderschöne Häuser.
»Und wie ist es in Venedig?« fragte sie. »Was kann denn besser sein, als in Venedig herumzulaufen?« Sie legte den Arm um mich und drückte sich an mich. Ich küßte sie, und sie sagte leise, ß wir vielleicht in ein paar Tagen nach Venedig fahren würden, aber warum jetzt daran denken, wo wir doch gerade in New Orleans seien.
»Meinst du das im Ernst?« fragte ich. »Können wir so lange wegbleiben?« Ich küßte sie und legte den Arm um sie.
»Wir fahren zurück, wenn ich es entscheide, es sei denn, du willst zurück.«
Ich nahm ihr Gesicht in die Hände und küßte sie. Ich hielt das für eine Antwort, und allein der Gedanke davon, wer wir waren und wo wir herkamen, erregte mich wieder. Ich wollte nirgendwo auf der Welt sein, wo sie nicht war. Aber der Ort auf Erden, wo ich am liebsten mit ihr Zusammensein wollte, war hier.
Sie ging, die linke Hand auf meiner Brust, ein bißchen an mich gelehnt. Eine Straßenbahn kam ratternd vorbei, eine beleuchtete Kette leerer Fenster. Das gewölbte war ß, und das erinnerte mich daran, ß es geregnet hatte. Wahrscheinlich regnete es in der Altstadt noch immer. Na und? Der Regen war wie alles andere hier, er hinderte einen nicht am Flanieren.
Als wir zur Louisiana Avenue gelangten, hatte ich sie wieder zum Erzählen gebracht, und sie berichtete mir ziemlich beunruhigende Sachen, wie zum Beispiel, daß sie tatsächlich nie ein wirkliches Leben außerhalb des Clubs geführt habe, ß sie die vier Jahre in Berkeley wie in einem Traum durchlebt habe, in der Hauptsache mit heimlicher S&M-Arbeit bei Martin in San Francisco beschäftigt.
Die Universität war für sie ungefähr das gleiche gewesen wie für mich, ein Ort, wo man stille Plätzchen zum Lesen finden konnte.
Eine seltsame Verlegenheit überkam mich, weil sie das Haus in San Francisco, wo ich S&M zum erstenmal erlebt hatte, und weil sie Martin kannte. Aber sie kannte Martin nicht nur, sie war mit ihm befreundet, hatte bei ihm gearbeitet. Sie kannte die Räumlichkeiten des Hauses, und wir sprachen ein Weilchen darüber, aber ich fuhr fort, ihr persönliche Fragen zu stellen, zum Beispiel, wo sie in Berkeley gewohnt habe, wie ihre Familie dorthin gelangt sei. Wenn sie von Martin sprach, lag Hochachtung in ihrer Stimme.
»Ich taugte einfach nicht für das normale Leben«, sagte sie, »und ich war absolut untauglich für das Kindsein.«
»Das habe ich noch nie gehört«, lachte ich, umarmte und küßte sie.
»Ich wußte nie, was Kindheit eigentlich sein soll. Ich hatte dunkle, seltsame sexuelle Gefühle, als ich noch ganz klein war. Ich wollte berührt werden und dachte mir Geschichten aus. Ich fand die Kindheit beschissen, um die Wahrheit zu sagen.«
»Auch in Berkeley mit all der Liberalität und der freizügigen Lebensweise und der intellektuellen Problematisierung eines jeden Schrittes, den man tut?«
»Für mich war das nicht so«, sagte sie. »Martins Haus war der Ort intellektueller Freiheit.« Sie ging mit angenehm leichtem Schritt neben mir. Wir legten die Avenue unter den filigranen Schatten der Blätter in einer guten Zeit zurück, entlang an großen, weißen Veranden, den niedrigen schmiedeeisernen Zäunen, den Gartentoren.
Ihr Vater war ein katholischer Ire aus der alten Garde, der das College in St. Louis besucht hatte und am Jesuiten-College in San Francisco unterrichtete. Ihre Mutter war eine dieser altmodischen Frauen, die zu Hause blieben, bis ihre vier Kinder herangewachsen waren, um dann in der Stadtbibliothek zu arbeiten. Sie waren in die Hügel von Berkeley gezogen, als Lisa noch ein kleines Mädchen gewesen war, weil sie die
Weitere Kostenlose Bücher