Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exit to Eden

Exit to Eden

Titel: Exit to Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Logik. Schließlich habe ich meine guten Gründe dafür, und ich sollte die Sache nicht erklären müssen. Die Taschen waren ausgepackt, ihr Inhalt war inventarisiert worden, nicht wahr? Die Kleider in Plastikhüllen mit Mottenkugeln aufgehängt, stimmt's? Was also ist das große Geheimnis? Ich habe sehr private und äußerst dringliche Gründe, alles persönliche Eigentum von Herrn Elliott Slater anzufordern. Ich übernehme die gesamte Verantwortung für alles, einschließlich Kleingeld und Dokumente. Packen Sie es zusammen, und bringen Sie es mir.
    Die Begierde überfiel mich wieder wie ein sengend heißer Wind. Ich sehnte mich so nach ihm. Ich legte die Arme um meine Taille und beugte mich angespannt vor, bis es vorüber war. Ich erinnerte mich ziemlich unvermittelt an die ersten High-School-Jahre, als ich diese quälenden Wellen sexuellen Hungers erlebt hatte, die mir damals als rein körperlich erschienen waren, und es keine Hoffnung auf Erfüllung, keine Hoffnung auf Liebe gab. Scheußliche Erinnerungen daran, daß ich mich abartig fühlte, als trüge ich ein Geheimnis in mir, das mich zu einer Ausgestoßenen machte.
    Doch gleichzeitig war es erheiternd, mich wieder so jung zu fühlen, so verrückt. Und beängstigend. Diesmal war die Hitzewelle, diese körperliche Begierde, an einen anderen Menschen gebunden, an Elliott Slater.
    Ich glitt vom Bett und tappte leise zu den Koffern. Sie waren dreckig, die Lederecken zerkratzt und verbeult. Äußerst schwer. Ich drehte den Schlüssel im Schloß des linken und öffnete die Gurte.
    Das Innere völlig anders. Ein Hauch von Männerparfüm stieg von den sorgfältig gefalteten Kleidern auf. Hübsche braune Samtjacke mit Lederflecken auf den Ellbogen. Norfolk-Tweed-Jacke. Zwei vorzügliche, dreiteilige Anzüge von Brooks Brothers. Blaue Arbeitshemden, gestärkt und gebügelt, in Plastikhüllen. Rollkragenpullis. Zwei abgetragene Khakijacken mit zerknitterten Flugscheinen und Parkplatzticketts in den Taschen. Bally-Mokassins, Church's-Halbschuhe, teure Jeans. Mister Slater fliegt erster Klasse.
    Ich saß im Schneidersitz auf dem Teppich. Ich befühlte die Samtjacke mit den Fingern, schnupperte das Parfüm im Tweed. Kölnisch Wasser in den Pullis. Viel Grau, Braun, Silber. Keine wirklichen Farben, außer bei den blauen Arbeitshemden. Und alles makellos, mit Ausnahme der beiden schmuddeligen Safarijacken. Kleine Plastikschachtel mit einer Rolex. Sollte im Dokumentenkoffer sein. Adreßbuch in einer der Taschen und ein einfaches blaues Notizbuch, ein ... ja, ein Tagebuch. Nein, klapp das zu, es geht auch so schon weit genug. Aber vergiß nicht zu bemerken, daß die Handschrift leserlich ist. Und daß er mit schwarzer Tinte schreibt. Kein Kugelschreiber. Schwarze Tinte.
    Ich zog die Hand zurück, als hätte ich etwas Heißes berührt. Flaues Gefühl in der Magengrube beim Anblick seiner Schreibe. Ich nahm den Dokumentenkoffer und schloß ihn auf.
    Reisepaß, ein Jahr alt, gutes Foto, der lächelnde Mister Slater. Warum nicht? Er war im Iran gewesen, im Libanon, in Marokko, halb Europa, Ägypten, Südafrika, El Salvador, Nicaragua, Brasilien - alles im Laufe von zwölf Monaten.
    Zehn Kreditkarten, die ablaufen würden, bevor er von hier fortging, außer der goldenen American Express. Und fünf Tausender - fünftausend, ich zahlte zweimal - in bar.
    Kalifornischer Führerschein, hübsches Gesicht, wieder mit dem nicht zu unterdrückenden Lächeln. Vermutlich das beste Führerscheinfoto, das ich je gesehen habe. In Leder gebundenes Scheckheft. Eine Adresse in Berkeley (Nord-Campus). Ungefähr fünf Blocks von dem Haus, wo ich aufgewachsen war und wo mein Vater noch immer wohnte. Ich kannte jene Häuser. Keine Studentenhäuser so weit oben, nur jene modernen, wettergegerbten Rotholzhäuser, jene alten Bruchstein-Einfamilienhäuser mit spitzen Dächern und rautenförmigen Fensterscheiben, hier und da eine Villa, die wie ein riesiger Felsbrocken an der Klippe klebt, alles halb verborgen in dem dichten Wald, der die geschlängelten Fußwege und krummen Straßen überwucherte. Dort oben wohnt er also.
    Ich zog die Knie an und fuhr mir durchs Haar. Ich hatte Schuldgefühle. Als würde er plötzlich hinter mir auftauchen und sagen: »Faß die Sachen nicht an. Mein Körper gehört dir, aber nicht meine Sachen.« Außer dem Tagebuch war nichts Persönliches darunter. Warum sollte er schließlich Exemplare seiner eigenen Bücher dabei haben? Um ihn daran zu erinnern, wer er gewesen war,

Weitere Kostenlose Bücher