Exit to Eden
ich meine, von den Trainern examiniert zu werden, als wäre man ein seltenes Exemplar. Er war hinreißend unvorbereitet.«
»Hast du irgendwas über ihn herausgefunden, irgendwas Besonderes?«
»Ja. Er lebt nicht in einer Phantasie, er ist hellwach.«
Ich schwieg einen Moment.
»Du weißt, was ich damit sagen will«, fuhr er fort. »Er ist zu differenziert, um sich einzubilden, er >verdiene< das alles oder er sei >zum Sklaven geboren< oder er sei in einer Welt verloren, die >edler und moralischen ist als die Wirklichkeit - du kennst die romantischen Geschichten, die die Sklaven für sich selbst erfinden. Er weiß, wo er ist und was er sich selbst antut. Du meinst, er wird ausflippen, aber er flippt niemals aus. Warum hast du ihn mir überlassen? Wie kommt's, ß du nichts sagst?«
»In Ordnung.«, sagte ich. »Okay. Fein.«
Ich hängte ein.
Ich starrte auf die durchgewühlten Koffer. Und auf Beirut:
Twenty-four Hours auf dem Bett. Er lebt nicht in einer Phantasie, er ist hellwach. Du sagst es.
Ich ging wieder zu den Koffern und nahm die zweibändige Taschenbuchausgabe von Burtons Buch Personal Narrative of a Pilgrimage to Al-Madinah and Meccah in die Hände. Ich hatte es vor Jahren im College in Berkeley gelesen. Burton, der Wanderer, der sich als Araber verkleidete, um in die verbotene Stadt Mekka zu gelangen. Burton, der sexuelle Pionier. Besessen von den sexuellen Praktiken anderer Völker, die so dramatisch verschieden von der anständigen englischen Gesellschaftsschicht waren, zu der er selber gehörte. Was bedeutete es für Elliott? Ich wollte Elliotts Notizen nicht lesen. Das wäre dasselbe, wie sein Tagebuch zu lesen.
Aber es war unübersehbar, daß er die Bücher sorgfältig durchgearbeitet hatte. Abschnitte waren unterstrichen, eingerahmt, rot und schwarz doppelt markiert, die Vorsatzblätter voller Anmerkungen. Ich legte die Bücher sorgfältig in den Koffer, dann packte ich auch Beirut: Twenty-four Hours wieder ein.
Ich mußte ihn herbringen lassen. Aber ich konnte nicht. Mußte das Verlangen in Schach halten.
Ich unternahm einen weiteren Gang durchs Zimmer und bemühte mich, etwas anderes als Verlangen zu fühlen, neben den kleinen Stichen von Eifersucht aufgrund der Einzelheiten, die ich aus Scotts Mund erfahren hatte; ich bemühte mich, etwas zu empfinden, das ein bißchen leichter zu ertragen war als dieses Besessensein.
Noch mal: Warum kommt ein Mann, der etwas wie Beirut: Twenty-four Hours geschaffen hat, als Sklave in den Club? Versuchte er dem Grauen Beiruts zu entkommen?
Es gibt natürlich Tausende von Gründen, warum Sklaven herkommen. In den Anfängen des Clubs waren es vor allem marginale Gestalten, die halbgebildeten, besonders phantasievollen Kreaturen, deren Berufe ihre exotischen Energien keineswegs erschöpften. Sadomasochismus war eine kulturelle Angelegenheit für sie, vollständig verschieden von ihren tristen Jobs oder den wiederholten Fehlschlägen der Versuche, in Musik, Theater oder sonst einem Künstlerberuf erfolgreich zu sein.
Inzwischen waren die meisten gebildeter und genossen die Freiheit einer verspäteten Jugend Ende zwanzig, bereit, im Rahmen des Clubs ihre Sehnsüchte zu erkunden und auszuleben, so wie sie auch zwei Jahre an der Sorbonne hätten studieren, eine Freudsche Analyse machen oder nach Kalifornien hätten gehen können, um in einem buddhistischen Kloster zu leben.
Aber im großen und ganzen waren es Leute, die in dem, was sie hier taten, aufgingen, weil sie sich selbst noch nicht gefunden hatten. Elliott Slater dagegen hatte ein ausgefülltes Leben.
Was waren seine Gründe? War er von unserem »Spaß und Spiele« angelockt und süchtig danach geworden, so daß er alles, was ihn draußen erwartete, aus den Augen verloren hatte, die Bücher, die er schreiben, die Fotos, die er machen könnte, die Aufträge, die ihn um die ganze Welt geführt hätten?
Der Widerspruch zwischen unserem kleinen Universum und der nackten Wirklichkeit von Beirut fraß an mir. Er verursachte mir eine Gänsehaut.
Sein Buch war ein Kunstwerk. Und dieser Ort hier war ein Kunstwerk. Elliotts Gründe für sein Hiersein hatten nichts mit Flucht zu tun, genausowenig wie mit dem Verleugnen seiner Person. Seine Gründe hatten vielmehr etwas mit Burtons Pilgerfahrt zu tun, Burtons Besessenheit und Suche.
Wenn man in Beirut mitten im Krieg gelandet war, wo man von einer Kugel oder einer Bombe getötet werden konnte, was bedeutete es dann hierherzukommen, wo man wußte, daß man
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