Exit
kam ich um Viertel vor zehn im Krankenhaus an. Das Ärzteparkhaus war fast voll, so daß ich bis auf die oberste Ebene fahren mußte, um einen Platz zu finden. Ein uniformierter Wächter lehnte im Schatten an einer Betonbalustrade und rauchte eine Zigarette. Er hörte nicht auf, mich anzustarren, bis ich aus meinem Wagen geklettert war und den Ausweis an mein Revers geklemmt hatte.
Die Privatstation war so ruhig wie am Tag zuvor. Nur eine Schwester saß am Schalter, und die Sekretärin las in einer Illustrierten.
Ich schaute in Cassies Krankenkarte. Stephanie hatte schon ihre Morgenrunde gemacht und notiert, daß Cassie symptomfrei war und sie noch für mindestens einen Tag in der Klinik bleiben sollte. Ich begab mich zum Zimmer 505W, klopfte an und trat ein.
Cindy Jones und Vicki Bottomley saßen auf der Schlafcouch. Auf Vickis Schoß lag ein Stoß Spielkarten. Als ich hereinkam, schauten beide auf.
»Guten Morgen«, sagte Cindy lächelnd.
»Ich geh jetzt besser«, sagte Vicki und erhob sich.
Cassie saß aufrecht in ihrem Bett und spielte mit einem Spielzeughaus. Anderes Spielzeug, einschließlich einer kleinen Hasenversammlung, lag auf der Bettdecke verstreut. Auf einem Frühstückstablett die Reste von Haferflocken und etwas Rotem in einer Plastiktasse. Im Fernseher flimmerten Zeichentrickfilme, doch der Ton war abgeschaltet. Cassie war damit beschäftigt, Möbel und Figuren in ihrem Haus herumzuschieben. Ein Infusionsstativ stand harmlos in einer Ecke.
Ich legte eine neue Zeichnung auf ihr Bett. Die Kleine schaute sie kurz an und spielte weiter.
Vicki übergab Cindy hastig die Karten, legte kurz beide Hände um ihren Arm und kam zum Bett herüber. Dabei vermied sie es, mich anzusehen. Sie streichelte Cassies Kopf:
»Bis bald, mein Sonnenschein.«
Cassie schaute kurz auf. Die Schwester streichelte sie noch einmal und ging hinaus.
Cindy trug heute eine rosa Bluse, nicht mehr das karierte Hemd von gestern. Die Jeans und die Sandalen waren die gleichen.
»Wollen wir doch mal sehen, was Dr. Delaware heute für dich gemalt hat«, sagte sie, als sie zum Bett herüberkam. Sie griff nach meiner Zeichnung, doch Cassie nahm sie ihr gleich wieder weg.
»Ein Elefant!« rief Cindy. Ihr Arm lag jetzt auf Cassies Schulter. »Ein Elefant! Dr. Delaware hat dir einen süßen blauen Elefanten gemalt!«
Cassie sah sich das Blatt genauer an: »Efant!«
»Gut, Cassie, großartig! Haben Sie das gehört, Dr. Delaware? Elefant!«
Ich nickte. »Ausgezeichnet.«
»Ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, aber seit gestern redet sie mehr. Cassie, kannst du noch mal Elefant sagen?«
Cassie preßte die Lippen zusammen und zerknüllte das Papier.
»Ach du meine Güte«, sagte Cindy begütigend, umarmte sie und streichelte ihre Wange. Dann schauten wir beide zu, wie Cassie den Papierknubbel wieder zu entfalten versuchte.
Schließlich schaffte sie es und sagte: »Efant!«, bevor sie die Zeichnung wieder zusammenknuddelte, diesmal noch fester, in ein faustgroßes Bällchen, das sie dann verblüfft anschaute.
»Ich fürchte, Ihr Elefant macht seine Sache doch nicht so gut«, sagte Cindy.
»Aber Cassie dafür um so besser.«
Sie rang sich ein Lächeln ab und nickte.
Cassie versuchte wieder, den Papierball zu entfalten. Diesmal waren ihre Hände zu klein dafür, und Cindy half ihr.
»So, mein Liebling… ach, Doktor, ich glaube, sie fühlt sich jetzt richtig wohl!«
»Hat es seit gestern irgendwelche Probleme gegeben?«
»Nein. Man hat aber auch nichts mit ihr gemacht. Seit gestern morgen ist nichts mehr passiert. Als ob …«
»Bitte?«
Sie legte ihren Zopf auf die Brust und strich ihn glatt.
»Vielleicht denken alle, ich bin verrückt… Manchmal denke ich selbst, ich bin verrückt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich weiß nicht. Es ist dumm, so etwas zu sagen. Verzeihung.«
»Was ist denn los, Cindy?«
Sie wandte sich ab und befingerte ihren Zopf. Dann ging sie zurück zu der Couch und spielte mit den Karten.
»Die Sache ist die«, begann sie. Sie sprach nun so leise, daß ich mich zu ihr beugen mußte. »Jedesmal, wenn ich sie herbringe, geht es ihr besser. Und dann denke ich, alles ist in Ordnung, und nehme sie mit nach Hause. Und dann geht es eine Weile gut, und dann …«
»Dann wird sie wieder krank.« Ihr Kopf war gesenkt. Sie nickte.
Cassie sprach mit einer der kleinen Plastikfiguren. »Gut so, mein Kind«, sagte Cindy, doch die Kleine schien sie nicht zu hören. ' »Wie war's mit einer Tasse Kaffee
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