Exodus
Moskau lange nur wenige wie uns gegeben hatte. Das bedeutete, dass wir Punkte sammelten, dass unsere Popularität wuchs – nur war der Kerl ziemlich verstört, angesichts dessen, wie wir in Wirklichkeit aussahen.
9 – Der Sowjetische Mensch – es ist schwierig, das jemandem zu erklären, der nicht in einer postkommunistischen Gesellschaft geboren ist. Es gibt eine riesige Bevölkerungsschicht in Russland und einigen anderen Ländern, die einfach nicht gelernt hat, in der Marktwirtschaft zu leben, in der russischen Wirklichkeit heißt das: unter der Herrschaft von Gangstern. Sie haben einfach nicht kapiert, wie man klaut, Schmiergelder zahlt, einige von ihnen haben vielleicht nicht mal gelernt, wie man mit Geld umgeht. Sie wurden im sowjetischen Inkubator herangezüchtet, um Ingenieure, Traktorfahrer, Ärzte zu werden, und haben danach nicht gelernt, Passanten zu beklauen, mit chinesischen Jeans zu dealen oder Richter zu bestechen. Sie konnten sich nicht anpassen und waren zum Aussterben verdammt – ich frage mich, warum die neuen demokratischen Machthaber sie nicht gleich erschossen haben.
Zu diesen Leuten, die sich am tiefsten Grund der russischen Gesellschaft befinden, gehörte auch meinen Familie, gehörten die Familien meiner Freunde, die Mehrheit der Familien im Land. Beim Anblick des Lebens dieser Menschen erwacht in mir der stärkste Wunsch nach Rache am russischen Regime.
10 – Dieses Stück ist meinem Freund Sascha und meinen Freunden und Kollegen gewidmet, mit denen ich bei der sozialen Ersten Hilfe für Obdachlose gearbeitet habe. Offiziell existiert ein solcher Dienst in Moskau nicht – ein ehemaliger Gangster entschied sich einfach dazu, seine Sünden zu sühnen und spendete eine riesige Summe für ein christliches Projekt, das sich wiederum entschied, davon unseren Dienst einzurichten. Es wurde ein alter Krankenwagen gekauft und ein Team von Ärzten, Arzthelfern und Freiwilligen zusammengestellt – eine wichtige Einstellungsvorraussetzung war, bestimmte Gebete auswendig zu können. Ich habe Religionsgeschichte studiert (es war die einzige Fakultät, wo man für die Aufnahme keine Schmiergelder zahlen musste), und so hatte ich damit keine Probleme.
Wir haben das fast ein Jahr gemacht, bis das Geld des Gangsters alle war. Es war ein echter Albtraum – ich habe das Schlimmste gesehen, was Menschen passieren kann. Wir hatten weder die Mittel noch die Möglichkeiten, qualifizierte medizinische Hilfe zu leisten, die Krankenhäuser lehnten es ab, Sterbende aufzunehmen, und die Ärzte der »echten« Ersten Hilfe beschimpften uns aufs Schlimmste. »Diese Leute müsste man alle vor die Stadtgrenze karren, sie in eine Grube werfen und Kalk draufschütten – das wäre die richtige Therapie!«, brüllten sie. Übrigens hat die Moskauer Miliz genau das gemacht: An Tagen vor großen Festen oder Razzien sammelten sie die sterbenden Penner von der Straße und brachten sie zum Bahnhof. Da wurden die Obdachlosen mit Fußtritten in einen »Todeszug« verfrachtet, eine Elektritschka nach Osten, die bis zur letzten Station fuhr, 150 Kilometer von Moskau entfernt. Dort jagte man sie einfach aufs Feld hinaus, und es versteht sich von selbst: Wenn das im Winter geschah, krepierte die Hälfte von ihnen sofort.
Wir erreichten nachts einen dieser Bahnhöfe und umgehend stürmten Massen von Menschen unseren Bus. Sie waren bereits echte Zombies, völlig wahnsinnig, wir konnten ihnen nicht helfen. Nachdem wir die am schwersten Verletzten notdürftig geflickt hatten, mussten wir sie am nächsten Morgen wieder dort aussetzen, wo wir sie aufgesammelt hatten – ein paar Tage später fanden wir sie erneut, bewusstlos oder tot.
Meine Kollegen waren alle Orthodoxe, aber natürlich ein bisschen durchgedreht – gutherzige Gemeindehelfer hielten sich bei uns nicht lange.
11 – Jaja, auch ich war damals beeindruckt von John Zerzans Ideen und der Figur Ted Kaczynski – aber wer von uns ist frei von Sünde?
12 – Zu einem gewissen Zeitpunkt merkte ich, dass eine Situation entstehen könnte, in der ich Russland würde verlassen müssen, und ich beschloss, Kontakt zu Mitstreitern in Westeuropa aufzunehmen. Ich suchte mir Schweden aus, fuhr nach Stockholm und lernte dort Leute kennen, außerdem erwarb ich bei ihnen im Tauschgeschäft einen Haufen Vinylplatten für meine bescheidenen Schiebereien. Dann checkte ich meine Mails und las, dass uns unsere Freunde, die Kiewer Arsenal-Fans, um Unterstützung baten bei einem Gastspiel
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