Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
schön und frei sind und so konsequent ihr Leben leben. Freiheit ist (neben Liebe und Neugier und Schönheit und Natur) ein so großes Thema für mich, und der bedingungslose Anspruch darauf zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.
Schmuckstücke (© Peter Lindbergh)
Freiheit war für die Menschen …
… in meiner Kindheit ein rotes Tuch. Mein Vater nahm sich zwar alle erdenklichen Freiheiten heraus, für mich war das aber nicht vorgesehen, genauso wenig wie für meine Mutter. Trotzdem entwickelte sie manchmal eine regelrechte Wut, ja, einen Hass auf meine Freiheit, die ich mir für ihre Begriffe so einfach nahm. Das war etwas, was ihr nicht zustand, warum dann mir? Ich sollte lieber durchschnittlich werden, nicht auffallen, mir ja nichts einbilden und bloß nichts vom Leben wünschen, was ich nicht verdient hätte. Den Kopf brav senken, lieb sein, dankbar sein für das Leben, das einem der liebe Herrgott inklusive Schicksal und Erbsünde bestimmt hat.
Nein, das war nicht meines. Nicht, dass ich glaubte, ich wäre viel besser als die anderen Mädchen in meinem Alter oder meine Freundinnen. Aber bei dieser Ansage bekam ich regelrechte Erstickungsanfälle. Wer wollte über mich bestimmen und warum? Warum sollte ich so ein kleines enges Leben führen? Für wen? Warum? Also nahm ich mir genau das Gegenteil davon, was für meine Mama und die anderen einfach undenkbar, wild und gefährlich war. Und vor allem: So auffällig! So ausgschamt. Und später auch noch: So nackt! Was würden dazu bloß die Nachbarn sagen? Und die Nachbarn von den Nachbarn? (Ich gehe mal davon aus, dass die sich wie die anderen auch heimlich den Playboy gekauft haben.)
Heute denke ich, weiß ich, dass sie wahrscheinlich Angst um mich hatte. Vielleicht wollte sie mich vor Enttäuschungen bewahren und konnte mir dies nicht anders beibringen als durch Verbote und noch mehr Verbote. Denn sie selbst war in ihren jungen Jahren ja schon sehr, sehr enttäuscht worden. Leider habe ich bei ihr auch etwas anderes gespürt, eine Ablehnung, eine Kälte. Sie konnte mich nicht richtig lieben, das spürte ich. Doch warum?
Natürlich war es für sie schwierig, wie für alle aus dieser Elterngeneration, die als Kinder in einen Krieg geboren worden waren und nur Unfreiheit, Gewalt, Knappheit, Lüge und falsche Helden kannten. Diesen Menschen war in den Fünfzigern dann wichtig, dass ja alles gut nach außen ausschaut und die Nachbarn nichts zum Lästern und Luren haben. Man sprach nicht über Ängste und Gefühle. Man packte alles irgendwie, Zähne zusammenbeißen, und dann geht’s schon. Das Leben war kein Fest, sondern ein Kampf. Außerdem hatte meine Mutter schon ihren Makel, oder zumindest empfand sie es wahrscheinlich so. Richtig gesprochen haben wir nie über diese Zeit, meine Kindheit und Jugend mit ihr und wie es uns miteinander ging in unserer Sprachlosigkeit, auch nicht, als wir uns in ihren letzten Lebensjahren wieder ausgesöhnt haben. Denn es sollte zu einem schlimmen Bruch zwischen uns kommen.
Wenn ich mir die alten Fotos von ihr ansehe, dann sehe ich eine elegante dunkle, sinnliche Schönheit, eine Dame mit traurigen Augen und einem schönen Mund und offenbar Prinzipien, trotz ihrer Jugendsünde, der Liebe zu Max Obermaier. Ja, sie hatte eine Wahnsinnsdisziplin, wie sie mit allem umgegangen ist, die hat sie auch von mir erwartet. Leichtigkeit hat sie sich verboten – wie mir ja auch. Trotzdem bin ich heute stolz auf das, was ich von ihr geerbt habe. Ohne diese Disziplin hätte ich nie so erfolgreich sein können. Und meine Ordentlichkeit ist legendär … Ich war ja lange davon überzeugt, dass ich eher meinem Vater nachgeschlagen bin als meiner Mutter. Erst in späteren Jahren habe ich entdeckt, dass ich in manchen Dingen auch viel von ihr hatte. Das konnte und wollte ich lange nicht akzeptieren. Heute bin froh darüber und finde es zum Beispiel sehr nützlich und gut, dass ich jetzt so auf meine Dinge achte und eine Struktur habe. Ordnung: Das war ja ein Wort, das ich als Kind und als junge Frau regelrecht gehasst habe. Vor allem wenn es aus dem Mund meiner Mama kam. Aber jetzt sehe ich es als value, als etwas Wertvolles, Gutes. Viele Leute sind so zerfleddert, so verloren in ihrem Leben. Mir ist aber wichtig, dass ich den Überblick behalte, meine Sachen ansehe und das, was mir wichtig ist. Ich will Kontrolle über mein Leben haben, nichts einfach nur laufen lassen, dabei aber offen für Neues bleiben. Diese Strukturen helfen mir
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