Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
sollte, wie es war. Er war all die Jahre unser naher Freund und »Übersetzer« gewesen, wenn wir nicht weiterkamen miteinander, ohneeinander. Er hat unsere Sprachen zusammengebracht, die von Bockhorn, der nie die weibliche Sprache verstehen wollte, und die von mir, die ich keine Lust hatte, seine männliche Sprache zu verstehen. Bei uns sind in unseren guten Zeiten die Fetzen geflogen, weil keiner von beiden auch nur ein Inch nachgeben wollte. Halko hat dann meine weibliche und Bockhorns männliche Seite verteidigt. Da war von unserer Seite jeweils überhaupt kein Verständnis da, und er hat es uns erklärt, wie wenn man eine andere Sprache lernt.
Wir hatten gestritten, bevor er wegfuhr, weil er seit einiger Zeit schon morgens mit dem Trinken begonnen hatte. Weil er außer trinken und mit seinem Kampfhahn herumzutoben nichts mehr auf die Reihe brachte, weil er seine Lebendigkeit und seine Tatkraft verloren hatte, weil er nichts an seinem Leben ändern wollte, nicht mehr suchen wollte, weil er keinen Weg aus seiner tiefen Depression fand. Er war sehr unglücklich, das wusste ich. Aber ich wusste nicht, was ich tun konnte.
Man muss es alleine schaffen. Niemand nimmt es einem ab, seinen Weg zu finden. Also hatten wir uns im Bösen getrennt. Ich war so genervt und angeödet von seiner Antriebslosigkeit, seinem Trinken und Versumpfen, seinen sich ständig wiederholenden Geschichten, wie die Leute früher mit ihren Kriegserlebnissen, sodass meine Liebe zu ihm kurz vor dem Versiegen war. Es war alles gelaufen. Wir wären nicht mehr lange zusammengeblieben. Nicht in seinem Zustand, außer er hätte sich radikal geändert. Aber da war nichts mehr. Er hat selbst gesagt: Sein Leben war »hoch zehn«, er hatte alles durch.
Das ahnte er, oder vielleicht wusste er es mit seiner enormen Sensibilität sogar schon früher als ich. Trotzdem verfolgte es mich lange, dass wir nicht im Guten auseinandergegangen sind, dass wir uns nicht mehr geküsst haben, im festen Glauben, dass wir uns ja in Kürze wiedersehen und uns bis zum Abend, zur Silvesterparty, schon wieder vertragen würden. Das alles war nicht mehr möglich. Er hat diese Lösung einfach aus unserer Geschichte herausgeschnitten, sich abgeschnitten, in dem Moment, als er sich auf sein Motorrad setzte.
Wir waren bereits Vergangenheit, als er die Maschine für seine letzte Fahrt startete.
Was blieb, war der reine Schmerz, eine laute Stille.
Ich bin kein Mensch, der leicht weint, wenn mir etwas Schlimmes passiert. Als Halko mir die Todesbotschaft überbrachte, heulte ich wie eine Wölfin – oder wie ich mir eben vorstelle, dass ein Tier leidet. Es war ein total archaisches Gefühl in seiner Tiefe und Unmittelbarkeit. Ein plötzlicher Schlag, der dich umhaut. Mein ganzer Körper war voll Schmerz, meine Hände und Füße krümmten sich. Dieser Zustand der absoluten Fassungslosigkeit wich einem der absoluten Taubheit und der Leere. Es war, als hätte man mich bei lebendigem Leib ohne Betäubung halbiert.
Es war ein Leben voller Wellenschläge mit mehr Höhen als Tiefen, das wir zehn Jahre lang gelebt hatten. Aber auch wenn wir so gut wie am Ende waren als Paar, die Fallhöhe nach Bockhorns Tod war enorm, und ich stürzte in ein so tiefes Loch, als ob eine Atombombe eingeschlagen hätte. Natürlich hatte sich unsere Beziehung schon vor seiner Todesfahrt für mich fast wie tot angefühlt.
Bockhorn war schon immer ein Mensch, der das Berauschende suchte. Viele Männer, die ich kennengelernt habe, sind das. Sie rauchen Dope, sie trinken, sie nehmen härtere Sachen. Für sie sind das verschiedene Facetten des Lebens, wie intensiv sie das Leben wahrnehmen. Sie müssen immer irgendwie drauf sein, einen Kick bekommen oder eben eine totale Auszeit. Letzteres macht das Heroin, und das habe ausgerechnet ich Bockhorn in unseren Hamburger Zeiten beigebracht. Das geht nicht gerade auf meine gute Seite, aber so war es eben. Das Problem dabei war von Anfang an, dass wir beide einen völlig anderen Umgang mit der Droge pflegten. Bockhorn verfiel dem Heroin komplett, wie er allem mit Haut und Haar verfiel. Er konnte sich da nicht schützen, nicht abgrenzen.
Als wir auf unseren letzten großen gemeinsamen Trip in die Staaten aufbrachen, wollte er ernsthaft entgiften und nahm Methadon. Wir haben dann noch einmal auf der Reise Heroin bekommen, das wir auch nahmen und was sich für einen Moment auch großartig anfühlte. Aber der nächste Tag war wie immer am zweiten Tag nach Heroin die Hölle:
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