Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
schwach und kaputt macht. Außerdem war meine Selbstliebe zu groß. Innerlich liebe ich mich doch so sehr, dass ich mir nicht schaden will. Und bei Heroin ist das am Anfang ganz lustig, aber auf Dauer hast du nichts Positives mehr, kein Erleben. Du brauchst es dann nur noch, um normal über die Runden zu kommen. Ganz einfache Alltagsgeschichten zu erledigen, die du vorher ohne Drogen geschafft hast. Wo ist da der Sinn? Es schneidet dich von dir selbst ab, kostet viel Geld, deine Gesundheit, alles. Meine Eigenliebe hat mich vor diesem Verfall gerettet.
Anna: Aber Sucht ist ja auch eine intensive Lebenserfahrung. Wann wird die selbstzerstörerisch?
Uschi: Man denkt ja lange: »Ich habe das unter Kontrolle.« Aber oft hat man den Punkt dann überschritten, ist einen Schritt zu weit gegangen. Mir war auch mein Job immer sehr wichtig. Durch ihn war ich unabhängig, konnte ein freies Leben führen, mein Leben führen. Außerdem habe ich auch ein starkes Arbeitsethos: Mir war immer klar, dass meine Auftraggeber mir viel Geld für meine Jobs bezahlten. Da wollte ich dann auch voll da sein. Ich bin deshalb nie so weit gegangen, dass ich wirklich süchtig wurde. Ich war mir mehr wert als alles andere.
Anna: Heute mischt sich der Staat in alles ein. Rauchen darf man öffentlich nicht mehr, Trinken dagegen schon noch. Glaubst du, dass es einem Menschen in der Persönlichkeitsentwicklung hilft, wenn der Staat solche Vorgaben macht?
Uschi: Wer Drogen nehmen will, macht es ja trotzdem. Trotzdem ist eine Aufklärung schon wichtig. Ich denke, dass es deshalb auch nicht mehr so viele Heroinsüchtige gibt. Mittlerweile weiß man ja auch, was diese Droge macht. Wir wussten das damals noch nicht. Uns war es nicht klar, wie süchtig man davon wird – wir hätten es auch nicht geglaubt oder glauben wollen. Synthetische Drogen wie Crystal Meth und Ecstasy gab’s bei uns noch nicht. Ich denke, jede Zeit hat ihre Drogen. Nur habe ich das Gefühl, die werden immer gruseliger und noch zerstörerischer. Mir fehlt da der Sinn dafür. Aber letztendlich gehören diese Erfahrungen zu den vielen Tests, die man im Leben machen muss. Da geht es nicht nur um Drogen, sondern um alles, was zu viel ist, dass du zum Beispiel nicht zu viel isst, zu viel trinkst oder zu viel Sex hast. Whatever! Man kann von allem süchtig werden und sich von den echten Dingen ablenken oder wegtreiben lassen. Darin besteht der Test, dass du dich in Balance hältst und selbst erkennst, wo deine Grenzen sind.
Anna: Ihr wart eine exzessive Generation. Exzessiver als alles, was danach kam.
Uschi: Na ja, die Jüngeren sind anders groß geworden, in mehr Freiheit, mit mehr Wahlmöglichkeiten, und haben natürlich auch die Abstürze der Älteren teilweise mitbekommen. Wie sehr die manchmal gescheitert sind oder selbst in bürgerlicher Enge gelandet sind und sich dort eingerichtet haben. Das war’s dann mit der großen Freiheit. Aber ich will das nicht verurteilen. Jeder, wie er mag und kann. Trotzdem: No risk, no fun. Man sollte wirklich so viel wie möglich antesten und Erfahrungen machen. Ich musste alle Dinge an der Haut fühlen, bis auf die Knochen. Wenn mir jemand von dieser und jener spannenden Erfahrung erzählt hat, hat mir das nie genügt. Ich musste das selbst ausprobiert haben. Das sind die Lehrzeiten, die dir zeigen, wie weit du gehen kannst und wo deine persönlichen Limits liegen. Wenn du die ignorierst, dann bezahlst du auch dafür. Das bedeutet für mich »Mensch werden«.
Anna: Das Leben darf auch weiterhin gefährlich sein?
Uschi: Das ist es doch immer. Leben ist unberechenbar. Es kann ja auch gefährlich sein, über die Straße zu gehen. Deshalb ist es so wichtig, sich jeden Tag neu ins Leben zu stürzen und sich genau anzusehen, was der Tag heute bringt. Und wenn du jung bist, musst du eben viele Dinge ausprobieren. Ich kann mir da heute meine Grenzen setzen. Es gibt bestimmte Sachen, die mache ich nicht. Ich gehe nicht in bestimmte Gegenden, obwohl die Jungen das total cool finden. Bis sie ihre Erfahrung machen oder irgendetwas passiert. Daraus lernst du. Du denkst immer, dir geschieht nichts. Ich bin damals in den Siebzigern alleine nach Marokko gereist. Die Jungs (Rainer, George und Hannes aus unserer Münchner WG) habe ich zurückgelassen, weil die wegen ihrer langen Haare nicht mitdurften. Im Grunde war das völlig hirnverbrannt, in ein Land zu reisen, in dem europäische Frauen teilweise wie Nutten angesehen werden. Ich hatte damals wirklich einen
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