Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
hat mich gerührt. Meine Mama war über diese Bilder immer zutiefst beschämt. Dass es große Fotografen waren, die diese Bilder machten, und dass sie sie machten, weil sie mich fotografieren wollten, das war ihr egal. Sie wollte es noch nicht mal verstehen. Was mich für andere Menschen zu einer Berühmtheit machte oder meinetwegen auch zu einer Ikone der Popkultur damals, das wollte sie noch nicht einmal verstehen. Und mein Vater, der war mittlerweile wieder mit einer jungen Frau verheiratet und scherte sich um gar nichts außer um sich selbst, wie immer.
Es waren diese beiden verrückten, lieben Amerikaner, die mir ein Gefühl gaben, ein liebenswertes Kind zu sein, obwohl es so shameless Sachen machte, über die man bei mir in meinem spießigen, deutschen »Zuhause« am besten schwieg. Dabei ist es das, was im Grunde jedes Kind möchte, auch wenn es irgendwann mal erwachsen ist: dass seine Eltern stolz auf es sind und hinter ihm stehen, auch wenn sie vielleicht nicht viel mit dem anfangen können, was das große Kind dann macht. Dass ich mit meinen Bildern nicht nur berühmt wurde, sondern nebenbei auch selbständig mein Leben finanzierte, war auch egal. Ein shameless business, das alles. Von Wally und Joyce bekam ich nun, obwohl meine große Zeit als Model vorbei war, bedingungslose Unterstützung und Liebe.
Hölzernes Raumschiff
In meinem ersten Sommer allerdings, als ich von Baja hochfuhr, blieb ich bei anderen Freunden. David und Lizzy nahmen mich in ihrer Wunderwelt in Nordkalifornien auf. Sie haben in der Nähe vom Yosemite Park eine wunderschöne Ranch mit einem Riesengrundstück, Wäldern und Flüssen, in denen wir nachmittags in der Sommerhitze immer badeten. Für mich war diese Zeit ein echter Ruhepol nach chaotischen Zeiten, in denen ich noch eine Weile alleine in meinem Bus lebte – wie eine traurige verlassene Piratenbraut ohne Führerschein.
Das tat meiner Seele gut. Die Gegend dort ist wunderschön. Zwei Flüsse durchzogen das riesige Grundstück, dann gab es eine Apfelbaumwiese und ringsum Wälder, märchenhaft.
Eine Nachbarin von ihnen, die ich von früher kannte, weil sie Bockhorn bei der Herstellung einiger seiner Kunstwerke geholfen hatte, half jetzt auch mir auf die Sprünge. Carol war ein bikerchick mit einer einzigartigen technischen Begabung. Sie konnte nicht nur ihre Harley bis auf das kleinste Schräubchen auseinander- und wieder zusammenbauen. Sie war auch eine hervorragende Silberschmiedin und stellte mir einmal die Woche ihre Werkstatt zur Verfügung.
So begannen wieder Zeiten, in denen ich mich lebendig fühlte. Lizzy und David hatten mir ein wunderschönes kleines »Raumschiff« aus Holz zur Verfügung gestellt, und ich lernte in acht Wochen, wie man mit dem Edelmetall umgeht. Dazu gab mir Carol nur Anleitungen und ließ mich dann in Ruhe machen und arbeiten. Das ideale Lernumfeld für mich. Ich brauche nicht ständig jemanden um mich, der mir sagt, wie etwas geht. Ich muss es selber ausprobieren und darf oder will dabei auch mal auf die Nase fallen. Wichtig ist, dass das, was bei einem solchen kreativen Prozess herauskommt, wirklich ganz und gar meine Handschrift trägt. »Warrior Jewels« nannte ich meine Schmucklinie. Sie war das erste Ergebnis, dass ich wieder einen Schritt in meinem Leben weitergekommen war.
Ich bin wieder frei
An meinem letzten Tag bei den beiden gingen Lizzy, ich und mein Hund Zora zurück zum Haus. Es war ein wunderschöner Indian-Summer-Tag. Das Laub der Bäume schillerte in allen Rottönen, und wir sprachen kaum, so versunken waren wir in den Anblick dieser Wunderwelt, die das Herz öffnet und wärmt. Wir hörten nur den Hund, wie er durchs Gebüsch raschelte, die Geräusche, die Vögel machten, wie der Wind durch die Blätter flüsterte. Acht Monate war es her, dass Bockhorn gegangen war. Ein Stück lang ging es durch ein kleines Wäldchen hinunter zum Fluss. Plötzlich ist da irgendetwas. Etwas in mir fordert mich auf, meinen Kopf zu drehen, und plötzlich sehe ich diese große California Greathorned Owl. Ich schaue zu ihr hin, und sie sieht mich voll, Auge zu Auge, an. Ich bin wie erstarrt stehen geblieben, wusste gar nicht, was ich denken soll. Sie blieb einfach sitzen und guckte mich intensiv an.
Ganz kurz durchzuckte mich der Gedanke, ob es nicht Bockhorn wäre. Ich war die letzten Monate in so einem übersensitiven Zustand gewesen und war fast überzeugt, dass er das war. So wie bei den Schamanen oder den Indianern, die ja auch glauben,
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