Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
Verhältnissen. Dabei besaß sie unglaublich viel Stil und noch mehr Disziplin. In letzter Hinsicht jedenfalls mehr als mein damals von mir heiß geliebter Vater.
Und sie war auch für mich da, selbst wenn ich das damals ziemlich ignorierte, so besetzt war ich von meiner Sehnsucht nach meinem Vater. Aber eben auf eine Weise, die sehr kühl war. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich meine Mama mal in den Arm oder auf den Schoß genommen oder mir irgend so ein endearment thing gezeigt hätte. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern. Aber vielleicht hat sie es auch getan …
Sie sorgte auf ihre Art und Weise für mich, indem sie zum Beispiel sehr darauf achtete, dass ich immer gut gekleidet war, obwohl wir kaum Geld hatten. Als ich noch klein war kurz nach dem Krieg, als es ja nichts gab, hat sie mir zum Beispiel aus irgendeinem alten Pullover mit dem bayerischen Karomuster Kniestrümpfe gemacht. Dass sie mich nett anzog, war ihr wichtig und ein Zeichen ihrer Liebe. Dann bekamen wir auch Komplimente von den Leuten in der Straßenbahn. Wo ich diese schönen Sachen herhabe und so. Überhaupt hat sie mir viel genäht und schöne Kleider gemacht. Dass ich nur auf »Mein Papa, mein Papa, mein Papa …« aus war, das war schon ungerecht von mir, aber ich habe so vieles damals noch nicht durchschaut. Wie auch?
Er war der Held, und dieses Muster, dass ich einen Mann umso mehr liebe, je weniger ich ihn um mich habe und je öfter ich ihn entbehren muss, das ist bis heute so. Mein Vater hat mir zum Beispiel nie etwas zum Geburtstag geschenkt, weil er den immer vergessen hatte. Ich musste ihn richtig bearbeiten, damit er mir mal etwas Schönes mitbrachte. Aber dann hieß es immer: »Ich kann jetzt nicht, weil, ich habe gerade meine Steuern zahlen müssen …« Aber seinen Freundinnen hat er immer große Geschenke gemacht, das sah ich schon. Irgendwann einmal hat er mir ein rotes Kleid gekauft. Eigentlich war das gar nicht so mein Fall, weil das so einen weißen, braven Bubi-Kragen hatte. Aber es war von meinem Papa. Also war es das allerschönste Kleid überhaupt. Dass meine Mama da saß und abends nach ihrer Arbeit die Kleider für mich genäht hat, das hatte ich da ganz schnell vergessen.
Mama
Dass er mich schon als Kind ignoriert hat, selbst das habe ich ihm später verziehen. Ach, Mann, der war neunzehn. Als ich ihm das vergeben hatte, war ich schon längst über das Alter raus. Ich habe mir gesagt: »Guck doch dich an, wärst du jetzt eine gute Mutter gewesen mit neunzehn?« Wohl kaum. Da ist ja noch die Sturm-und-Drang-Zeit, da will man ja alles und kreist ja nur um sich selbst.
Und ich habe meinen Vater auch schon früher in Schutz genommen. Das waren die Zeiten, als im Dezember der Nikolaus gekommen ist und ich noch ernsthaft daran geglaubt hatte. In Bayern kommt der Nikolaus ja immer mit dem Krampus. Das ist echter Terror. Der stand dann da mit der Kette an der Tür, bis du innerlich zu Eis erstarrt bist und nur gehofft hast, dass du nicht in den Sack kommst, weil du ein böses Kind bist. Ein böses Kind. Wann ist ein kleines Kind böse? Aber mein Vater, der hätte wirklich in den Sack gehört vom Krampus. Das habe ich irgendwie gespürt. Irgendwie war das etwas an ihm, das nicht gut war, auch wenn ich mir das damals nie offen eingestanden hätte. Also habe ich den ganzen Abend, solange Nikolaus und der Krampus da waren, nur Angst um meinen Vater gehabt.
Das Leben der Obermaiers
Max Obermaier stammte aus einer Wachskünstlerdynastie. Das ist ein altes Handwerk, heute gibt es in Deutschland kaum mehr einen, der das beherrscht. Mein Großvater Heinrich Obermaier jedenfalls war ein Meister darin. An ihn kann ich mich allerdings gar nicht erinnern. Er starb, als ich noch klein war. Es hieß in der Familie aber, dass er europaweit einen extrem guten Ruf hatte. Die Leute kamen damals vor dem Krieg bis aus London, um ihm ihre Wachsbilder zum Reparieren anzuvertrauen.
Mein Onkel entwickelte aus der Wachskunst heraus die Geschäftsidee, Schaufensterpuppen zu modellieren. Das war in den Wirtschaftswunderjahren der Renner. Die Leute hatten wieder Lust auf Schönheit, auf Glamour. In allen angesagten Läden und Boutiquen sah man diese stummen Mannequins, jede eine besondere, makellose Schönheit.
Das Leben der Obermaiers hatte also etwas Kreatives, dabei aber auch durchaus Bodenständiges. Sie waren sehr arbeitsam, und auf der anderen Seite ließ man es sich gut gehen. In das Atelier kamen manchmal sogar berühmte
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