Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
sich für so einen Weg entscheidet, das äußere Selbst vom inneren, privaten Selbst zu trennen, dann ist es sehr schwierig, Vertrauen zu gewinnen. Denn Vertrauen kommt aus dem Glauben daran, begehrenswert zu sein, und zwar nicht für das, was du im Außen zu bieten hast, sondern das, was in deinem Inneren steckt. Und so trägt sie dieses sehr Verletzte mit sich herum und sehnt sich danach, zu vertrauen, kann es aber nicht, weil sie sich davor fürchtet, sich wieder einer neuen Erfahrung des Verlassenseins auszusetzen, einer neuen Zurückweisung. Sie hat als Kind nie verstanden, dass das Fortgehen ihres Vaters nichts mit ihr zu tun hatte. Es hatte vielmehr etwas mit seinem Desinteresse und seiner mangelnden Fähigkeit, für ein Kind da zu sein, zu tun. Das Kind hat es aber nicht in dieser Weise erfahren. Das Kind sagt: »Da stimmt wohl etwas nicht mit mir, irgendetwas ist besonders schlimm an mir, dass mich mein Vater verlassen musste.«
Also trägt das Kind diesen Sinn eines inneren Defekts weiter mit sich herum, was furchtbar ist. Etwas stimmt nicht mit mir, nicht, dass ich etwas Schlimmes angestellt hätte, aber irgendetwas ist einfach falsch an mir. Und daher stammt diese enorme Angst, die sich darin ausdrückt, tief in eine Beziehung hineinzugehen mit der Hoffnung, dass er mich umarmen möge, endlos für mein ganzes Sein einschließlich meines ängstlichen unsicheren Selbst. Aber wenn ich so tief in eine Beziehung hineingehe, dann tue ich alles, was in meiner Macht steht, um sein Interesse an mir zu erhalten. Und ich weiß, wie das auf der sexuellen Ebene funktioniert, sodass dies wie ein Schutzschirm wirkt, meine Sexualität – um den Typen von dem abzuhalten, was ich am tiefsten ersehne, dass er mich liebt für das, was nicht sichtbar ist.
Aber letztlich müssen wir doch alle allein unser Leben meistern, auch wenn wir in einer Beziehung sind!
Natürlich ist es absolut wahr, dass wir im Grunde allein sind. Das ist die Natur des menschlichen Daseins: Es ist die existenzielle Natur des menschlichen Daseins, dass wir allein sind, und hierin liegt eine Ironie. Wir sind allein und trotzdem von unseren Körpern und Gehirnen so ausgestattet, dass wir gleichzeitig, während wir allein sind, in Beziehungen stecken. Denn in seiner Kindheit in einer Beziehung zu anderen zu sein ist so entscheidend, weil wir das andere Individuum oder die anderen Individuen, die uns sehr nahe stehen, dazu brauchen, uns verstehen zu helfen, wer wir sind. Wir benötigen also ein anderes Gehirn, um das eigene zu entwickeln, oder einen anderen Geist, um unseren Geist zu formen. Wir können das nicht alleine tun, und Kinder, die Verlassensein oder Nichtachtung erfahren müssen oder eben das Nichtvorhandensein einer fundamentalen Bindung, werden immer unsicher darüber sein, wer sie eigentlich sind – und unsicher in ihrem Wert in der Welt und für andere.
Also leben wir alle mit diesem Paradox des fundamentalen Alleinseins, auch wenn wir jemanden haben, der uns liebt. Und wir werden das nie überwinden, und es ist Teil des Schmerzes der Liebe, dass wir getrennt sind, selbst wenn wir zusammen sind oder allein zusammen oder zusammen allein. Aber das ist es auch, was dem Leben seinen Saft verleiht, seinen Wert, seinen Reiz. Wir versuchen, Beziehungen zu erschaffen in dem Bewusstsein, dass uns keine Beziehung je vervollständigen wird. Wir bleiben immer unvollständig, suchen aber nach dieser Vollständigkeit und tun dies durch die Verbindung mit einem anderen. Diese Bindung wird aber immer kurzlebig sein, und Sexualität ist eine Art und Weise, diese Verbindung zu erfahren. Der Sex selbst ist aufregend, aber auch auf eine Art traurig. Im Französischen heißt ein Orgasmus nicht umsonst le petit mort – »der kleine Tod«. Dabei ist ein Orgasmus die aufregendste Körper-Geist-Erfahrung, die es gibt, und ganz besonders, wenn wir sie mit einem anderen Menschen teilen können. Und sie erinnert uns zugleich an den Tod.
Dass sie nur einen Moment dauert, ist schön und bewegend. Denn wenn sie eine Konstante wäre, wären wir wohl nicht in der Lage, sie wertzuschätzen. Ironischerweise können wir die Schönheit und das Wunder des Lebens umso mehr wertschätzen, als wir heranwachsen und irgendwann sterben. Wenn es kein Ende hätte, wäre das Leben nicht dasselbe. Im besten Sinne kann uns das Bewusstsein, dass da ein Ende ist, freundlicher und empathischer machen.
Wenn man Uschis Kindheit ansieht, erfährt man viel Kälte und auch wenig
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