Expedition ins Paradies
“Aber ich denke nicht daran, jetzt auf kameradschaftlich und verzeihend zu machen. Die Genugtuung gebe ich ihm nicht.”
“Nein …”, brummelte Charlie und begutachtete den Rahmen in seiner Hand. “Ich muss jetzt weitermachen, Liz. Das Stück hier muss fertig sein, ehe wir morgen abreisen.”
Sie schnitt ein Gesicht. Ihr Vater nahm Tom Scanlons Verrat viel zu leicht auf. Offenbar war er bereit, zu vergeben und zu vergessen, ohne zu wissen, ob Tom immer noch mit der anderen Frau zusammen war. Charlies Verhalten kam Elizabeth höchst merkwürdig vor.
“Auch ich habe heute Nachmittag noch Verschiedenes fertig zu stellen. Und packen muss ich auch noch”, erklärte sie. “Diese Störung hat mir gerade noch gefehlt”, setzte sie abschätzig hinzu. “Vergessen wir, dass Tom Scanlon da war. Einverstanden?”
“Wie du willst, Liebes.”
Argwöhnisch betrachtete Elizabeth ihren Vater, doch seine Miene war ausdruckslos.
Verdächtig ausdruckslos.
Aber nun, er hatte bestimmt nicht vor, Tom Scanlon wieder zu sehen. Morgen würde sie mit Charlie auf Motivsuche nach Norden fliegen. Das würde ihre erste Reise zum Kakadu National Park sein. Für das Frühjahr hatte sie in Sydney eine Ausstellung der auf dieser Reise entstandenen Gemälde angesetzt.
Der Kakadu National Park lag hoch im Norden von Australien, in der Nähe von Darwin. Dort oben würde sie sicher sein.
Sicher vor Tom Scanlon.
2. KAPITEL
Als Elizabeth am nächsten Morgen in die Küche kam, um vor dem Flug nach Darwin noch einen Kaffee zu trinken, war Tante Edith, die verwitwete Schwester ihres Vaters, bereits dort.
Während der Abwesenheit von Vater und Tochter wollte Edith im Apartment wohnen und sich um die Galerie und das Rahmengeschäft kümmern. Seit Ediths Mann im vorigen Jahr gestorben war, half sie halbtags in der Galerie aus, aber sie machte sich auch des Öfteren im Haushalt nützlich und kochte und blieb dann zum Essen.
“Hallo, Tante Edith.”
“Guten Morgen, Liebes.”
Irgendwie klang die Begrüßung der Tante diesmal nicht so fröhlich wie sonst, und Elizabeth betrachtete sie genauer. “Ist etwas, Tantchen?” fragte sie befremdet und blickte sich um. “Wo ist Charlie?” Ihr Vater stand sonst immer sehr früh auf.
“Ach, Liebes, deinen Vater hat’s erwischt. Er liegt mit Grippe im Bett, und um alles noch schlimmer zu machen, hat er auch noch Gicht im großen Zeh.”
“Nein!” Ausgerechnet jetzt, da sie nach Darwin fliegen wollten! “Wie schlimm ist es? Hast du den Arzt gerufen?” Ihr Vater tat Elizabeth Leid, dann wurde ihr entsetzt klar, was diese Hiobsbotschaft zu bedeuten hatte. Sie hatte die Safari zum Kakadu National Park so sorgfältig geplant und sich extra diese Jahr eszeit dafür ausgesucht: Ende Mai, wenn die Trockenzeit einsetzte, das Gras jedoch immer noch grün sein und die Blumen in Blüte stehen würden.
Wenn sie die Reise auch nur um zwei Wochen verschob, würde das ihre sorgsam ausgetüftelten Pläne über den Haufen werfen und ihren gesamten Arbeitsplan um Monate verzögern.
Edith schnitt ein Gesicht. “Charlie wollte nicht, dass ich den Arzt rufe. Der würde ihm nur raten, im Bett zu bleiben, meint er, und dort sei er ja bereits. Glücklicherweise hat er wenigstens Tabletten gegen die Gicht.” Ihre Tante schien zu zögern. “Ich sollte ihm sein Handy bringen, weil er einige Telefonate erledigen wollte. Das Letzte, was er in seinem Zustand tun dürfte”, setzte sie missbilligend hinzu.
Elizabeth überlegte nicht lange. “Ich gehe nach ihm sehen.” Zielstrebig ging sie zum Schlafzimmer ihres Vaters.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass er im Bett oder in seinem Armsessel saß und telefonierte, doch er lag bis oben zugedeckt da, so dass nur sein ergrauter Schöpf zu sehen war. Der Anblick war wenig ermutigend.
“Dad …”, begann Elizabeth vorsichtig.
Matt blickte er zu ihr auf. “Tut mir Leid, Liebes, aber ich bin krank. Sehr krank.” Seine Stimme klang dünn und zittrig, und die sonst Leben sprühenden blauen Augen waren halb geschlossen, als würde es ihm schwer fallen, sie offen zu halten. “Aber mach dir keine Sorgen, Liebes. Ich habe alles in die Wege geleitet. Du wirst die Reise antreten und schaffst auch die Maschine um neun noch.”
“Aber Dad, ich kann doch nicht ohne dich reisen! Ich kann doch unmöglich allein zwei Wochen im Kakadu National Park zelten! Und so spät finde ich niemand anders, der …”
“Liebes, ich sagte doch, alles ist geregelt”, beharrte Charlie
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