Expedition Mikro
sich ein rotes, klobiges Ungetüm, fünfmal höher als der größte Mensch.
Eine Weile benötigte Karl, um die Situation zu erfassen.
Dann begriff er, und er hätte beinahe laut aufgelacht: Das Tier lag auf dem Rücken und vermochte offenbar nicht, sich auf seine jetzt hilflos und tolpatschig in der Luft zappelnden sechs Beine zu stellen. Es wedelte mit den übermannsgroßen Fühlern, wackelte hin und her, und wenn es dabei an das Blattdach stieß, erbebte dieses.
Das Tier sah aus wie ein halbes, längsgeteiltes Ellipsoid, aus dessen Schnittfläche die langen, durch Borsten und Krallen furchterregend aussehenden Beine in die Dunkelheit hinausragten. Die sphärische Schale schien hart zu sein, eine Tatsache, die Karl dem Knirschen, Knistern und Schaben auf dem Untergrund entnahm, sie war im Feuerschein dunkelrot und hatte große schwarze Flecke. Kopf und Unterseite, die jetzt zuoberst schwankte, erglänzten im polierten Schwarz.
Es könnte ein – ein Bug sein, dachte Karl. Ich hätte doch besser aufpassen sollen, als wir in der Schule die ausgestorbenen Tiere behandelten…
Und dann geschah etwas Merkwürdiges: Die Schale klappte auseinander, die Ebenmäßigkeit des mathematischen Körpers jäh zerstörend. Aus dem Spalt schob sich drängend ein mit kleinen Platten besetztes, röhrendurchzogenes Gestrüpp, legte sich auf den Boden auf, wurde noch mehr ausgeschoben und gespreizt, und mit einem Ruck kippte der Koloß. Während das Gestrüpp, nunmehr auf dem Rücken des Tieres, wieder in dem Spalt verschwand, verhielt das Ungetüm. Dann öffneten sich schlagartig erneut die Schalen, so daß Karl Nilpach, obwohl er vorsichtshalber bereits Abstand gehalten hatte, erschrocken einige Schritte zurückwich. Er war sich nicht sicher. War das Untier harmlos? Dagegen sprachen Zange und Krallen. Außerdem spielte sich das Ganze im matten Feuerschein ab, ein Umstand, der der Szene von vornherein etwas Unheimliches verlieh. Karl warf einen flüchtigen Blick auf Gela. Sie schlief ruhig, wahrscheinlich hätte man sie schlafend davontragen können.
Das Tier handelte jetzt schnell. Es war weit auseinandergeklappt, das Gestrüpp schoß erneut hervor, entfaltete sich zu vier beträchtlichen, durchscheinenden Flügeln, die plötzlich zu flattern begannen, surrten, und im nächsten Augenblick, scheinbar entgegen allem physikalischen Gesetzen, das schwere Tier in die Luft hoben. Es stieß mehrmals, was Karl mehr ahnte als in der Dunkelheit sah, an Halme und Blätter, ließ das, woran es stieß, erbeben und verschwand nach oben. Später kam es erneut angebraust, knapp über dem Feuer, torkelte gegen das Blätterdach, verschwand und – stürzte erneut heran.
Das kann ja eine Nacht werden, dachte Karl.
Noch einmal krachte das Tier gegen einen Halm, krallte sich daran fest, lief behend einige Fuß an ihm hoch, spreizte dann abermals die Flügel und schwirrte wieder zum Feuer.
Da wurde Karl Nilpach stutzig. Zum Feuer, dachte er, immer wieder zum Feuer. Kurzentschlossen zog er ein Blattstück über die bläulich züngelnden Flammen. Augenblicklich herrschte völlige Finsternis. Das Surren erstarb in der Ferne.
Karl Nilpach war sich sicher, daß das Tier vom Schein des Feuers angelockt worden war. Er erinnerte sich eines Vorfalls von damals, als sie die erste künstliche Sonne aufgelassen hatten. Ein ganzer Schwarm geflügelter Lebewesen hätte sich darauf gestürzt, wenn nicht oben die Abschirmung vorhanden gewesen wäre.
Karl Nilpach legte sich endgültig schlafen. Er träumte noch wirr von schwirrenden fliegenden Untieren, die ihn umkreisten, dann nahm er selbst am wilden Flug teil, stürzte… Und dann verfiel er in tiefen traumlosen Schlaf, aus dem ihn erst die Sonne und ein vergnügtes Prusten Gelas weckten. Als er die Augen verschlafen öffnete, lachte sie ihn aus einer Wasserkugel, die unmittelbar an einem Halm vor dem Eingang hing, fröhlich an.
Das Erlebnis mit dem Fabelwesen kam Karl Nilpach so unwirklich vor, jetzt, am hellen Morgen, daß er zunächst Gela nichts davon berichtete. Erst als er die abgedeckte Feuerstelle sah, war er sich gewiß, daß er nicht alles nur geträumt hatte.
Es war kühl an diesem Morgen. Gela sprang von dem Halm herunter, rannte auf einem gelben Blatt etliche hundert Fuß im Laufschritt, um warm zu werden. Bei der dritten Runde kam sie dem eingerollten Rand des Blattes noch näher und blieb unvermittelt stehen.
Karl Nilpach, der ihr froh zugesehen hatte, wurde aufmerksam. Gela ging auf
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