Expedition Mikro
erzwungenen Untätigkeit, setzte das Denken wieder ein. Und auch Chris’ Denken war Angst. Gela – und Karl da draußen, eingeschlossen in einer Kabine, kleiner als jede dieser Wasserkugeln. Sie konnten weder dem Sturm trotzen noch der Wasserflut standhalten.
Wenn sie vor dem Unwetter nicht rechtzeitig zu fliehen vermochten, waren sie abgestürzt. Sie konnten nicht allzuweit vom Stubben entfernt gewesen sein. Bei einer Flucht hätte eine Rückkehr sehr nahegelegen. Also abgestürzt!
Chris war sich im klaren darüber, daß der Absturz des Hubschraubers unter den gegebenen Umweltbedingungen und während eines Sturmes, der die Maschine sicher mehr horizontal als vertikal getrieben hatte, nicht gerade sehr lebensgefährlich zu verlaufen brauchte. Er bangte auch nicht um das Leben der Freunde – noch nicht. Er bangte um die Zukunft.
Wie sollten sie sich in dieser Welt des Riesenhaften, des Unwegsamen wiederfinden? Wie sollten sie den unbekannten und so zahlreichen Gefahren entgehen! Jede für sich bedeutete Lebensgefahr!
Flüchtig erinnerte sich Chris an den Vortag, an das Bad mit Gela. Er sah ihren zartgebaute n Körper und er dachte an die Strapazen, die auf die beiden warteten. Ihm war klar, wenn sie auch mit dem Leben davongekommen waren, das Flugzeug hatte den Absturz gewiß nicht überstanden. Oder?
Was Chris mit am meisten bedrückte, war die eigene Ohnmacht. Nichts konnte er zur Rettung der Gefährten unternehmen. Es war ausgeschlossen, sie zu suchen. Wie auch – im Augenblick? Und später?
Außerdem war ihm klar, daß er sie bei derart geringen Erfolgschancen überhaupt nicht suchen durfte. Ich habe mich auf die Aufgabe zu konzentrieren, auf die Sicherheit der Gefährten.
Zusätzliche Gefährdungen sind konsequent nicht zuzulassen!
Aber Gela und Karl waren ihm doch auch anvertraut! Chris fühlte sich einen Augenblick in die Vorlesung zurückversetzt.
Wie leicht es dem Dozenten gefallen sein mag, so etwas vom Katheder herab als Prämisse zu setzen, wie einfach, es in die Instruktion zu schreiben…
Chris lehnte sich zurück. Also, dachte er, der kurze, fröhliche Abschied, Gelas kleines Winken hinter dem Fenster des Hubschraubers konnte das Letzte sein, was er von ihr in Erinnerung behalten würde… Ich werde sie vielleicht nie wieder sehen.
Diese Erkenntnis kam Chris plötzlich, jetzt, da er untätig im Gang saß. Er fühlte Verzweiflung und auch – Schuld in sich aufsteigen, kämpfte gegen ein Würgen in der Kehle und spürte, daß unter den Augenlidern mehr Wasser stand, als normalerweise dort hingehörte. Er preßte die Zähne aufeinander und brauchte Sekunden, um sich zu fassen. Er war der Finsternis in der Höhle dankbar.
Es hätte noch gefehlt, neben der ängstlichen Carol und dem nörgelnden Charles einen verzweifelten Leiter in der Gruppe zu haben. Plötzlich wurde es heller, gleichzeitig kam ein kühler Hauch vom Eingang her. Die auf dem Grund des Schachtes aufsitzende Wassermasse war beinahe schlagartig in den Untergrund gedrungen.
Chris Noloc riß sich endgültig aus seinem Grübeln. Er trat vorsichtig in den Schacht und blickte nach oben. Ein winziges Stück Himmel ließ sich in der fast kreisrunden Röhrenöffnung sehen, und es schien Chris, als sei es nicht mehr so dunkelgrau.
Er dachte noch: Ich hätte niemals zulassen dürfen, daß das große Funkgerät aus dem Hubschrauber entfernt wurde. Selbst wenn es beim Absturz der Maschine zu Schaden gekommen wäre, Karl hätte es vielleicht reparieren können! Und Chris wußte, daß er sich dafür würde verantworten müssen.
Dann sagte er: »Ich seh einmal nach«, nahm das Seil auf und begann die steile, aber mit zahlreichen Vorsprüngen und Vertiefungen ausgestattete Röhre emporzusteigen.
Sechstes Kapitel
Gela benötigte nicht erst Karl Nilpachs Hinweis, daß mit den vorhandenen Mitteln eine Instandsetzung des Hubschraubers und des kleinen Funkgerätes ausgeschlossen war. Nicht nur, daß beide Luftschrauben, zerknickt und aus den Lagern gerissen, seitlich herunterhingen, die Maschine lag auch noch eingeklemmt in einem chaotischen Knäuel von Halmen, Blattstücken und dunklen Klumpen. Ringsherum standen die mächtigen Halmstämme und die langgezogenen brettartigen Blätter des gigantischen Grases. Durch Lücken, die den Ausblick nach oben freiließen, zeigten sich weit oben Zweige der Bäume.
Die niederschmetternde Ausweglosigkeit machte Gela – und darüber wunderte sie sich selbst – nicht sonderlich mutlos.
Vielleicht hing
Weitere Kostenlose Bücher