Expedition Mikro
würde.
Chris als Leiter von Highlife, wie der Stützpunkt scherzhaft bezeichnet wurde, hatte sich angewöhnt, morgens, noch vor dem allgemeinen Arbeitsbeginn, einen Inspektionsgang zu machen.
Er verließ an einem solchen Morgen seine Kabine in dem Gemeinschaftswohnhaus, ging leise über den langen Korridor und blieb überrascht an der Außentür stehen. Sie ließ sich nicht öffnen! Gleichzeitig fiel ihm auf, daß nicht wie sonst der Lichtschein der Außenbeleuchtung durch das Fenster über der Tür drang, sondern daß es sich nur matt abhob, Chris löschte für einen Augenblick die nicht eben üppige Nachtbeleuchtung des Korridors und sah jetzt noch deutlicher, daß das Licht von außen nur diffus mit eigenartigen Streueffekten eindrang, die an die Durchleuchtung von Kristallen erinnerten. Er versuchte erneut, die Tür zu öffnen, indem er sich mit dem rechten Bein gegen den Rahmen stemmte und aus Leibeskräften an der Klinke zog – vergebens! Dann ging er zurück in seine Kabine.
Sie hatte ebenfalls ein Außenfenster. Doch auch das war völlig undurchsichtig und ließ sich nicht öffnen.
Chris wurde klar, daß sich irgend etwas über den Wohnbau gelegt hatte, eine durchscheinende Schicht, die so stark war, daß die Kraft eines Mannes nicht ausreichte, sie zu zerstören.
Bei dieser Erkenntnis wurde es Chris heiß. Er lief abermals nach draußen. Und im Geräteraum bekam er eine leichte Gänsehaut: Der Sauerstoffanteil der Luft betrug nur noch neunzehn Prozent. Chris schaltete sofort die Gasheizungsanlage ab. Dann lief er zurück in seine Kabine und weckte telefonisch den Dispatcher. Offenbar hatte außer ihm noch niemand den merkwürdigen und nicht ungefährlichen Belag bemerkt.
Chris folgerte so: Je länger jetzt die Mannschaft schlief, desto länger würde der Sauerstoff reichen. Noch bestand keine unmittelbare Gefahr. Aber alle befanden sich im Inneren des einen Hauses, was sich jetzt als ungünstig erwies.
Wenig später trat der Dispatcher zu Chris in die Kabine. Er trug einen Schlauch und ein Rohr. »Ich denke, es ist Eis«, sagte er. »Wir werden es wegtauen.«
Sie gingen leise zur Außentür. Der Dispatcher hatte den Schlauch an einen nahegelegenen Hahn angeschlossen, das Rohr vorn in den Schlauch geschoben und das ausströmende Gas entzündet. Es brannte mit mäßiger, rußender Flamme. Er begann, die Metalltür systematisch zu erwärmen. Wo die Flamme auftraf, entstand ein häßlicher schwarzer. Fleck, und es roch nach Verbranntem.
Nach einer Weile hatten sie Erfolg. Die Tür ließ sich mit einem kraftvollen Ruck öffnen, freilich ohne den Eingang freizugeben. Das Haus wurde jetzt von einer glänzenden, milchigweißen Fläche verschlossen.
Ohne Hast setzte der Dispatcher seine Flamme abermals an.
Sie fraß sich in das schmelzende Eis, Wasserkugeln, mit schwarzen, platzenden Rußhäuten überzogen, rollten ihnen vor die Füße. Eine übermannsstarke Schicht mußte durchdrungen werden, bevor der Durchgang zur Außenwelt frei wurde.
Die Eisschicht bedeckte gleichmäßig ganz Highlife. Die Fahr- und Flugzeuge bildeten in ihr trübe, glasige Hügel. Es war ausgeschlossen, sie im Augenblick einzusetzen. Auch der Zugang zu den Vorratshäusern und Werkstätten war nur mit Gewalt zu erreichen. Die Expedition war gelähmt, eingefangen in einer alles umschließenden Starre.
Die Menschen liefen mit Gesichtern umher, die Besorgnis ausdrückten.
Erst gegen Mittag ließ die eisige Umklammerung nach. Auf der Oberfläche bildeten sich Pfützen. Später, als die Sonne höher stieg, verschwand der Spuk zusehends. Das Eis wurde zu Wasser, dieses rann ab oder versickerte in den zahlreichen Spalten und Röhrchen des Untergrunds.
Sie ergriffen Maßnahmen. Zunächst wurden beheizbare Rohre aufgestellt, die die Luftzufuhr zu den Unterkünften aufrechterhalten sollten. Es wurden ferner Hallen für die Flug- und Fahrzeuge errichtet. Die Teile dazu kamen wieder von der »Ozean«.
Es zeigte sich, daß bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt jede Tätigkeit im Freien mit einem lebensbedrohenden Risiko verbunden war. Einer der Techniker geriet eines Nachts in ein Kristallfeld von mannsstarken und mehrere Fuß hohen Eiskristallen, die um ihn her wuchsen und ihn einzuschließen, zu erdrücken drohten. Er konnte gerade noch gerettet werden. Der Kristallisationsprozeß verlief so rasch, daß stets mit der Gefahr eines Eiseinschlusses gerechnet werden mußte. Chris gab die strikte Weisung heraus, daß alle Außenarbeiten bei
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