Expedition Mikro
null Grad sofort einzustellen seien.
Noch bevor entschieden war, inwieweit die vorhandenen Bakterienstämme feuchtigkeitsvernichtend und gleichzeitig wärmespendend zum Schutz des Stützpunktes aktiviert werden konnten, setzte wenige Tage später ein Ereignis diesen Überlegungen und allen Arbeiten im Freien ein jähes Ende. Eine dichte weiße Schicht aus wirr durcheinanderliegenden riesigen Eiskristallen hatte sich über Highlife gelegt.
Ennil bezeichnete diese Schicht als atmosphärischen Schnee im Gegensatz zu jenem, der in Labors künstlich erzeugt werden konnte.
Die Schicht war, wie eine Echolotung ergab, neunhundert Fuß mächtig.
Obwohl auf der Holzoberfläche über einer dicken Eiskruste ein Vorwärtskommen zwischen den Kristallen möglich schien, barg ein solches Beginnen doch eine Reihe von Gefahren: Kristalle stürzten um, mächtige Eisbrocken brachen ab, füllten die Hohlräume, so daß der eigentliche Boden immer mehr nach oben wuchs.
Tagsüber drangen Sickerwässer von oben herab, froren nachts und bildeten erneut höhere Eishorizonte. Dazu kam die akute Gefahr, daß man sich verirren konnte. Laute wurden stark gedämpft, die Hohlräume bildeten ein bizarres Labyrinth.
Aus diesem Grunde trieben die Menschen regelrecht ausgebaute Stollen in das Eis, die die wesentlichsten Objekte miteinander verbanden. Nach oben wurde ein Schacht gestreckt. Doch als an der Oberfläche der Schicht das Tageslicht erreicht werden sollte, setzte offenbar erneut Schneefall ein. Die Röhre mußte um siebzig Fuß verlängert werden. Aber bereits am Tage nach dem Durchstoßen der Oberfläche ragte der Schacht um dreißig Fuß über sie hinaus. Die Schneeschicht war tagsüber so weit zusammengesackt.
Chris Noloc hatte Gela Nylf in ihrer Unterkunft aufgesucht und sie gebeten, ihn zum ersten Ausblick aus dem Schneespieß, wie sie den Schacht nannten, zu begleiten. Gela hatte begeistert zugestimmt. Man war für jede Abwechslung im Tagesablauf dankbar, obwohl es genügend zu tun gab: Eine topographische Karte wurde angefertigt, fotogrammetrische Bilder der Makros wurden ausgewertet, um ihre wahren Dimensionen zu bestimmen, Daten von Pflanzen und Tieren verglichen und katalogisiert und anderes mehr.
Eine Abwechslung hatte Christmas gebracht. Später bedauerte Chris ein wenig, den Verlauf der Feier nicht günstiger beeinflußt zu haben. Aber er gestand sich ein, daß auch er von der eigenartigen Stimmung, in die die Feiernden hineingerieten, gefangen war. Was die Mannschaft brauchte, war Optimismus, Zukunftsvertrauen, trotz der stets lauernden Gefahr, trotz des Ungewissen, das sie umgab, das jede neue Maßnahme heraufbeschwor, und trotz der scheinbar für Menschen lebensfeindlichen Umwelt. Schließlich war es ein hohes Ziel, für das sie sich schlugen: Verbindung zu anderen vernunftbegabten Wesen suchen, und sei es noch so schwierig. Optimismus wurde gebraucht und Lebenswille.
Aber im Panzer des Eises, begraben unter einer Schicht bizarrer Kristalle, im Schein des von Karl Nilpach täuschend echt gebastelten Christmastree kamen Gedanken an zu Hause, die Angehörigen, vor allem aber an die, die bei ähnlichen Unternehmungen umgekommen waren. Und gerade das letztere bedauerte Chris sehr – für die Moral der Mannschaft, aber insbesondere auch in bezug auf sein Verhältnis zu Gela. Und es war ihr an jenem Abend unschwer anzusehen, in welche Richtung ihre Gedanken schweiften. Nur Karl Nilpach sorgte dafür, daß der Abend einen im ganzen heiteren und nicht etwa einen sentimentalen Abschluß fand. Er behauptete, von Ennil unterstützt, das riesige grüne Ungetüm, das er im Kasino parallel zur Decke aufgehangen harte, sei das Blatt einer Mistel, einer Riesenmistel, versteht sich. Und er bestand darauf, daß der alte englische Brauch, der Kuß unter dem Mistelzweig, aufgefrischt werden müsse, weil, wie er festgestellt haben wollte, die meisten Vorfahren der Anwesenden aus Old-England stammen sollten, einem sagenhaften Land. Eine Behauptung, die ebenso kühn wie unwahrscheinlich war, weil gerade die Herkunft der Menschen zu einem jener Rätsel zählte, die das Reich der Legenden und Märchen streiften. Aber die meisten griffen den Vorschlag dankbar auf, weil er echte Abwechslung brachte und weil schließlich fast alle junge Leute waren.
Unterbrechungen des täglichen Einerleis stellten auch die qualitativ sehr wechselhaften Funkverbindungen zur »Ozean II« dar, die diese oder jene Entdeckung und die neuesten Forschungsergebnisse
Weitere Kostenlose Bücher