Expedition Mikro
Pfauenauge!« Res’ Tochter Ann kam angeflitzt, der Junge mit. Sie hatte den Schmetterling so angefaßt, daß er zwischen den Fingern zappelte. Stolz hielt sie ihn den beiden Erwachsenen vor die Gesichter.
Marc Carpa hatte sich aufgerichtet. »Tüchtig, tüchtig«, lobte er, »Aber glaubst du nicht, Ann, daß er noch schöner ist, wenn er fliegt, auf Blumen sitzt? Schau, er schlägt sich die gesamte schöne Farbe ab. Läßt du ihn wieder frei? Es wäre schade um ihn, wo er doch so, so wundersam entstanden ist.« Mit diesen Worten blickte Marc lächelnd auf Res. »Unwissenschaftlich, wie?« Res lächelte zurück.
»Was heißt wundersam?« fragte Ann prompt. Sie schaute sich das zappelnde Etwas in ihrer Hand noch einmal genauer an, bedauernd, wie es schien, und dann öffnete sie die Finger.
Einen Augenblick noch verhielt der Schmetterling, dann schwang er sich hörbar kräftig in die Luft. Ann sah ihm noch lange hinterher.
»Also, was soll daran wundersam sein?« fragte Tom hellhörig, und er blickte Marc herausfordernd an. »Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling, der legt wieder Eier – und?«
»Marc meint«, sagte Res besänftigend, »daß es doch bemerkenswert ist, weil es sich doch gleichsam um zwei verschiedene Lebewesen handelt…«
»Marc soll es selber sagen«, maulte Ann.
»Also«, erklärte Marc, »natürlich hat Tom recht. Aber ich bleibe dabei: Es ist doch wie ein Wunder: Da ist eine Raupe, strupsig, gefräßig, hat sechs Stummelbeine und ebenso viele Ersatzfüße, und die verpuppt sich plötzlich. Habt ihr schon einmal zugesehn, wie schnell das geht?«
»Hab ich«, rief Ann.
»Ich auch«, sagte Tom angeberisch.
»Also«, hob Marc erneut an, »es entsteht ein völlig neues Gebilde, das weder einer Raupe noch einem Schmetterling ähnlich ist. Aber nun stellt euch vor, was in der Puppe vor sich geht. Das Pfauenauge zum Beispiel steckt nur etwa zehn Tage drin. Aus der Puppe kriecht ein völlig neues Tier hervor, das der Raupe nicht im geringsten gleicht. Die frißt mit einem Kneifermaul, krabbelt auf Pflanzen herum. Der Schmetterling hingegen hat einen Saugrüssel, ist ein kapriziöser Luftakrobat…«
Tom hatte Marc von der Seite angesehen und unterbrach ihn jetzt wegwerfend: »Olle Kamellen! Ich hab ja schon selbst Schmetterlinge gezüchtet!«
»Füchse und Pfauenaugen, nicht Mutti?« rief Ann dazwischen.
»Schon, schon«, sagte Marc Carpa. »Denkt aber doch einmal an die Ursachen dieser verblüffenden, wundersamen und rasanten Wandlung. Es sind winzige Bauteilchen, Zellen, die Uhren, Baumeister, Maler und Motore in einem sind. Gene, versteht ihr? Und dieser Mechanismus, dieses seit Jahrmillionen Funktionierende läßt mich immer wieder staunen, zwingt zur Hochachtung. Mir jedenfalls flößt alles Respekt ein, was lebt, selbst wenn es uns Menschen im Augenblick nicht sosehr nützlich erscheint. Man muß das schützen und nicht stören, denn, lieber Tom«, sagte Marc und legte den Kindern, die sich während seines Vortrags neben ihm niedergelassen hatten, die Arme um die Schultern, »die Menschen haben vieles durchschaut, können vieles tun, aber letzte Zusammenhänge fehlen noch, und noch können wir erst weniges bewußt verändern.«
»Diese kleinen Zellen machen, daß ein Schmetterling rechtzeitig und haargenau ein Schmetterling wird – aus der strupsigen Raupe? Machen sie auch, daß ein Mensch ein Mensch wird?« fragte Tom.
»Ja«, sagte Marc, »auch daß ein Mensch wird.«
»Oje«, warf Res in komischem Entsetzen ein, »jetzt hast du etwas angerichtet, Marc!«
Während Ann stumm zuhörte, schien Tom Feuer gefangen zu haben. »Du hast vorhin gesagt, man kann etwas bewußt verändern. Ja wäre es denn da möglich, zum Beispiel der Raupe Flügel wachsen zu lassen oder, oder einem Fisch Beine?«
»Ein Fisch mit Beinen«, Ann kicherte belustigt.
»Im Grunde genommen ja«, bestätigte Marc ernsthaft. »Nur, was sollte das! Vernünftig muß es schon sein und allen nützen.
Früher, das weißt du, waren Tiere, die der menschlichen Ernährung dienen, wesentlich kleiner oder wuchsen langsamer. Das haben wir verändert. Getreidekörner sind heute dreimal so groß. Man muß nur aufpassen, daß keine Disproportionen geschaffen werden, daß die Dinge, nachdem man sie verändert hat, hinterher auch wieder zusammenpassen.«
»Und beim Menschen, was kann man da machen?« fragte Tom hastig.
»Nun – vielleicht erzählt dir das Mutti? Die hat das studiert.«
Marc versuchte, sich aus der Schlinge zu
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