Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
einzige andere Wasserpflanze hatte ihre Pollen bis hinunter in die aschehaltigen Schlammschichten mit diesem Brei vermischt. Weiter unten gab es keine Pollen von Süßwasserpflanzen. Bevor die Menschen kamen, wuchs nichts in den Kraterseen der Osterinsel, sie lagen ganz offen da und waren mit Regenwasser gefüllt.
Das war Material für einen Detektiv. Es war leicht zu begreifen, daß die beiden Süßwasserpflanzen mit den Menschen übers Meer gekommen waren. Beide waren begehrte Nutzpflanzen, die eine als Baumaterial, die andere als Heilpflanze, und beide gehören Arten an, die nur durch Setzen von Schößlingen verpflanzt werden können und nicht durch Meeresströmungen, Vögel oder Wind. Damit sie sich bis in die drei Krater der einsamen Osterinsel verbreiten konnten, mußten die Menschen lebende Wurzelknollen gepflanzt haben, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatten. Und damit waren wir auf der richtigen Spur. Denn beide Pflanzen gehörten Arten an, die nirgendwo anders wachsen als auf dem amerikanischen Kontinent. Das Toiora -Schilf, Scirpus tatora , war eine der wichtigsten Nutzpflanzen für die Urbevölkerung an der Wüstenküste des Inkareiches; sie baute es in bewässerten Sümpfen an und benutzte es zur Herstellung von Schilfbooten, Dächern, Matten, Körben und Tauen. Die andere Wasserpflanze, Polygonum acuminatum , wurde von südamerikanischen Indianern als Medizin verwendet. Beide Pflanzen dienten den Bewohnern der Osterinsel zu genau dem gleichen Zweck.
Ich hielt ein Stück des leichten, sonnengetrockneten Totora -Schilfs in der Hand und betrachtete die vier Polynesier, die auf den Wellenkämmen des offenen Meeres ebenso nonchalant umhertanzten, wie sie sonst auf der Felseninsel zu Pferde dahergaloppierten. Ich wußte schon lange, daß es eins der großen Mysterien der pazifischen Botanik war, zu verstehen, wie diese amerikanische Süßwasserpflanze auf einmal in den drei verborgenen Kraterseen auf der einsamsten bewohnten Insel der Welt wachsen konnte. Hier war die einfache Lösung. Vielleicht hatten die alten Seefahrer aus Peru nicht nur einen Typ ihrer Wasserfahrzeuge, das Balsafloß, über den Pazifischen Ozean mitgebracht, vielleicht hatten sie auch den Brauch, Schilfboote zu bauen, und lebende Wurzelknollen mitgebracht, um weiterhin über Baumaterial zu verfügen.
Als wir das mondsichelförmige Schilfboot an Land zogen, war ich nicht länger im Zweifel, daß das älteste Kulturvolk der Osterinsel die Kunst, solche eigentümlichen Fahrzeuge zu bauen, von den alten Pyramidenbauern Perus geerbt hatte.
Fünf Jahre später saß ich an einem großen Tisch mit den führenden Pazifik-Archäologen der Weh, die sich zu einem Kongreß in der Universität von Hawaii versammelt hatten. Fünf Jahre waren vergangen, bis das vielseitige Material der Ausgrabung auf der Osterinsel von Mitarbeitern, Spezialisten auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft, ausgewertet war. Skelette und Steingeräte, Blutproben, Pollen und Feuerreste, alles hatte seine Bedeutung in der wissenschaftlichen Detektivarbeit, deren Aufgabe es war, herauszufinden, was auf der Osterinsel geschehen war. Wer war hier an Land gegangen - lange ehe die Nachfolger des Kolumbus unserer Rasse den Weg nach diesen verborgenen Inseln über Amerika zeigten? Wann war das geschehen-und von woher?
Nun unterschrieben wir ein Dokument, eine sogenannte Resolution. Der Text stellte fest, daß Südamerika und Südostasien die wichtigste Heimat für jene Völker und Kulturen darstellten, die vor den Europäern den Weg nach den Inseln im Pazifischen Ozean gefunden hatten. Ich hatte nichts dagegen, zu unterschreiben. Mit der Floßfahrt von Peru hatte ich darum gekämpft, die Möglichkeit dieser zweifachen Besiedlung aufzuzeigen. Ich hatte den Verdacht schon lange vor der Kon-Tiki-Fahrt, damals, als ich ein Jahr lang wie ein Polynesier lebte und dem alten Tei Tetua am Feuer lauschte, während die Brandung an die Ostküste von Fatuhiva schlug und Wolken und Wellen Tag und Nacht aus derselben Richtung herantrieben und -rollten, aus Amerika. Die Resolution wurde den 3 ooo Wissenschaftlern des Kongresses vorgelesen und einstimmig angenommen. Ich verließ den 10. Internationalen Pazifik-Kongreß mit dem Auftrag, auf jenen Inseln weitere Ausgrabungen zu fördern, deren Vorderseite gegen Südamerika vorgeschoben war. Gleichzeitig wurden die südamerikanischen Küstengebiete zum ersten Mal in das archäologische Interessengebiet des Pazifischen Ozeans einbezogen.
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