Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Knoten an. Das war drei- bis viermal soviel, wie die Ra schaffte, aber mit dem Sturm von vorn würde die Jacht wesentlich langsamer fahren; im günstigsten Fall konnte sie uns in ein paar Tagen erreichen, wenn wir auf demselben Breitengrad direkt aufeinander zusteuerten. Ein Funkamateur hatte eine Meldung aufgefangen, nach der sich ein Handelsschiff etwa 30 Seemeilen von unserer Position befinden sollte, falls wir Hilfe brauchten. Aber an Bord bestand einstimmig der Wunsch, allein nach Westen weiterzufahren.
Um ein Uhr nachts brüllte Juri, daß die Rah am Mast krachend gebrochen sei. Alle stürzten hinaus, aber keiner begriff etwas, denn das Segel stand voll gebläht wie nie zuvor, an einer soliden Rahe. Aber eben jetzt wurde plötzlich das Steuern gewaltig erschwert. Als wir uns im Laufe der Nacht ablösten, waren sich alle darin einig, noch nie eine schlimmere Ruderwache erlebt zu haben. Erst bei Sonnenaufgang erkannten wir, was geschehen war. Carlo entdeckte, daß er mit einem leeren Schaft ohne Ruderblatt steuerte. Das dicke, doppelte Steuerruder war abermals wie durch den Schlag eines Schmiedehammers abgebrochen, und das große Ruderblatt war für immer in der nächtlichen Dunkelheit im Meer verschwunden. Dieses Krachen hatte Juri gehört, und wir hatten uns alle mit zwei runden Stöcken fast zu Tode geschuftet, während die Ra mit ihrem abgesackten Achtersteven als einzigem Ruder allein den Kurs gehalten hatte.
Am 15. Juli erreichte der Sturm seinen Höhepunkt. Das Segel duldete die Brassen nicht mehr, und in Sturmböen, die uns so sehr auf die Seite drückten, daß ein normales Boot gekentert wäre, strichen wir das Segel mit Donnergetöse. Es blitzte und regnete. Als das Segel eingezogen war, blieben die Masten mit der gitterähnlichen Leiter stehen und schwankten vor den zuckenden Blitzen im Hintergrund wie ein nacktes Gerüst. Ohne Segel wirkte alles leer und leblos. Als die Geschwindigkeit abnahm, schienen die Wellen den Mut zum Angriff zu fassen. Der Rest der Küche verschwand im Meer. Eine Weile wirbelten Eierpunsch und Kalkpulver um Carlos Beine, als ein Krug zerschmettert wurde. Jedoch waren Vorderdeck und Backbord noch voll von Nahrungsmitteln in festgebundenen Krügen mit dichten Deckeln, und an der Mastleiter hingen Würste und geräucherte Schinken. Schlimmer als der Eidotter waren mehrere portugiesische Nesselquallen, die plötzlich mit ihren Nesselfäden auf Deck herumschwammen und sich um alles wickelten. Ich trat auf einen Blasenkörper, verbrannte mich aber nicht. Nesselfäden wickelten sich um Georges' und Abdullahs Beine, als sie bis zur Hüfte im Wasser standen und neue Reepe anstelle der durchgescheuerten festnähten. Beide wurden sofort mit Juris improvisierter Naturmedizin gründlich gewaschen. Abdullah behauptete, daß es nicht brannte. Aber er hatte auch runde Brandmale von glühenden Zigaretten, die er sich selbst auf den Arm gedrückt hatte, um zu beweisen, daß ein Mann aus dem Tschad den Schmerz gering achtet.
Als der Sturm am schlimmsten wütete, konnten wir nur vor der Hüttenöffnung, backbord von der Hütte, sicher und einigermaßen trocken zusammenkommen. Hier waren auch alle Filme und die ganze wertvolle Ausrüstung verstaut, so daß es für uns kaum Platz gab. Die Ente und der Affe wohnten in eigenen Körben übereinander, auf unseren ganzen Privatsachen. In der Hütte setzten die Wellen durch die Wand hindurch ihre Verheerung fort. Kiste um Kiste zersplitterte. Als der Abend kam, lagen nur noch Abdullah und ich unter dem Dach, alle anderen waren ausgezogen und schliefen auf den Küchenkörben, im Mast und auf dem Hüttendach, welches sich so kräftig gebogen hatte, daß es gerade noch das Gewicht von zwei bis drei Männern tragen konnte. Von den sechzehn Kisten, die einst unsere Betten bildeten, waren nur noch ganze drei übrig. Zwei gehörten Abdullah, eine mir. Da unsere Kojen backbord ganz hinten lagen, hatten unsere Kisten am längsten standgehalten, aber nun kamen auch wir an die Reihe. Die Kiste unter meinen Beinen war schon zerschmettert; Kleider und Bücher mischten sich wie Papiermasse in dem umherschwappenden Brei. Ich balancierte mit den Füßen einen Kistendeckel hochkant, um meine Beine oben zu halten, und hielt mich an Dach und Wand fest, damit die Kiste unter meinem Rücken nicht kenterte, wenn der Wasserbrei auf unsere Seite schwappte. Es war grotesk. Abdullah kniete nieder und betete zum letzten Mal in der Türöffnung. Dann kroch er in den Schlafsack
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