Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Zeichen war. Überall hingen getrocknete Fische, und die Mannschaft stand schweigend an der Reling und starrte herüber, als die Noi Young You in 200 Metern Entfernung an uns vorbeischlingerte. Wir standen alle auf unseren Booten, starrten einander voll Mitleid und Entsetzen an und fotografierten uns gegenseitig. Die Chinesen winkten gleichgültig und freundlich herablassend. Sie glaubten zweifellos, die Ra sei ein Eingeborenen- Jangada oder ein primitives Balsafloß, das vor der brasilianischen Küste fischte, und sie waren sichtlich erschüttert darüber, daß heutzutage noch solche Ungetüme im Gebrauch waren. Die Wellen des vorwärtsschlingernden Fischerbootes spülten über das Achterdeck der Ra , und dann waren wir wieder allein auf dem Meer. Es begann wieder zu regnen. Der Wind nahm zu, die Wellen wurden höher.
Als die Nacht langsam über bleiche, nasse Schlechtwetterwolken kroch, sahen wir am Horizont im Osten richtige Sturmwolken wie zornige schwarze Ochsenköpfe heranrollen; sie schickten Donnerschläge hinter uns her. Wir bereiteten uns auf den schweren Sturm vor, der mit Blitzen und in immer heftigeren Stößen angejagt kam. Das Segel konnte nicht unbegrenzt halten, aber wir holten es trotzdem nicht ein. Wir hatten nur noch wenige Tage vor uns und mußten uns beeilen. Die Ra erbebte in den Sturmböen. Das Meer hob sich. Das ägyptische Segel blähte sich wie nie zuvor, und wieder ritten wir wie ein wildes Tier auf den Seen. Es war ein Erlebnis von wilder, barbarischer Schönheit. Die schwarzen Wellen wurden immer weißer, brodelten, zeigten Streifen, das Wasser des Meeres prasselte stärker gegen uns als der Regen vom Himmel. Die Wellenkämme wurden flachgedrückt, und die Ra ritt so schnell, daß die Wassermassen, die uns von hinten einholten, weniger gewaltig waren als sonst. Aber was über uns hereinbrach, war doch so heftig, daß man zwischen den Stößen nur einige Sekunden schlummern konnte. Oberall lauerten Gefahren, wenn wir nicht ordentlich an Hüttenwand oder Papyrusbündeln festgebunden waren. Schwere Wassermassen donnerten auf das Hüttendach, das sich sattelförmig immer mehr zu unseren Nasen herunterbog. Santiago wurde mit dem Reep in der Hand über Bord gespült, konnte sich aber noch an einer Ecke des Segels festhalten. Ab und zu holte die Ra so gewaltig über, daß alle in die Pardunen griffen und sich als Gegengewicht außenbords hängten. Eine Küchenkiste wurde zersplittert, und Carlo watete umher, um die andere zu bergen, die zwischen den Masten schwamm. Die Antenne wurde weggerissen, so daß unser Funkgerät tot war. Die angeleinte Ente wurde immer wieder über Bord gespült und brach sich im schlimmsten Chaos ein Bein, und Juri mußte sie verarzten. Safî war in der Hütte in Topform. In den großen Wellentälern wimmelte es von Schwärmen fliegender Fische; noch nie hatte ich so viele gesehen. Kurz vor Wachablösung hörte ich, wie Abdullah im Dunkeln auf der Brücke zu singen begann. Eine Riesenwelle stürzte von hinten über das Hüttendach, und dann war ich an der Reihe. Abdullah stand festgebunden auf der Brücke, und sein Haar glänzte im Lampenschein naß vom Salzwasser.
»Wie ist denn das Wetter?« fragte ich scherzhaft.
»Nicht schlecht«, sagte Abdullah unbesorgt.
Der Sturm raste mit wechselnder Stärke volle drei Tage. Das gesetzte Segel schien uns in eine schwierige Lage zu bringen, aber die ersten zwei Tage schafften wir es, während die Ra auf den Sturmwellen ritt. Der Steuerbordmast tanzte einsam auf der provisorisch festgenähten Seite, die halb allein pendelte und so viel Papyrus verloren hatte, daß der Rest unter die Oberfläche gedrückt wurde. Dadurch lehnte sich der Schrägmast immer mehr in den Wind, und das half uns, die Sturmböen besser zu nehmen -wenn auch der Klotz, in dem der Steuerbordmast stand, immer tiefer in das recht lose Papyrusbündel sank. Georges und Abdullah nähten aus allen Kräften unter diesem Mastfuß, der sich auf dem Weg durch das Bündel zu befinden schien. Die Masten hüpften in ihren Holzschuhen auf und ab, und nur ihr eigenes Gewicht und die Reeps zogen sie nach jedem Stoß wieder auf ihren Platz. Weil die Taue auf Steuerbord durchgescheuert waren und sich gelockert hatten, konnten die Papyrusrohre dort unbegrenzt Wasser aufsaugen, und außerdem wurde das ganze Bündel so biegsam und lose, daß wir nie wußten, wie kräftig wir die Pardunen anziehen konnten. Wenn der Schrägmast nach hinten ging, waren sämtliche parallelen
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